3. Klaipeda – Energiepolitik

Nach den beiden Terminen in Polen führt uns die Törnplanung ins Baltikum. Vorher gilt es das russische Staatsgebiet großräumig zu umfahren. Schon bei unseren letzten beiden polnischen Häfen ist zu spüren, dass man sich einer Schengen-Grenze nähert. Waren die Hafenbehörden bislang immer äußerst entspannt, ändert sich dies je näher wir gen Osten fahren. Das jeweilige „Port Traffic Control“ muss frühzeitig über UKW-Seefunk darüber informiert werden, woher wir kommen, wohin wir wollen und wieviel Personen, welcher Nationalität an Bord sind. Nachdem wir angeben, nicht nach Russland reisen zu wollen, gibt es jedes Mal große Erleichterung. Offensichtlich ersparen wir dem Personal damit eine Menge an Formalitäten.

 

Die Nacht im Hafen von Hel, circa 50 km entfernt der russischen Grenze, ist erfüllt vom Lärm von Kampfflugzeugen im Schallmauer-Modus. Vor Kurzem fand in der Gegend noch das Nato-Manöver „Saber Strike“ statt. Mit Säbeln wird zwar schon lange nicht mehr gekämpft, aber leider immer noch gerasselt. Als wir den Hafen von Gdansk in Richtung Klaipeda verlassen, liegt nicht nur der erste Nachtschlag unseres Törns vor uns, sondern auch eine dichte Passage russischen Staatsgebietes. In der Danziger Bucht fährt mit gleichbleibenden 4 Seemeilen Abstand auffällig lange ein Schiff schräg hinter uns. Das AIS meldet MMSI und Rufzeichen und im Internet finde ich unter diesen Angaben die „USS Oak Hill“, ein 185 Meter langes Docklandungsschiff zum Transport von Amphibienfahrzeugen und deren Besatzungen. Nach einer Stunde ist der Spuk vorbei und die „Oak Hill“ geht mit Marschfahrt auf eigenen Kurs. Vielleicht fanden sie ja unseren Kurs Richtung russischer Grenze interessant genug um sich anzuschauen welche Reaktion seitens deren

Küstenwache oder Marine erfolgt. In Kaliningrad ist mit der Baltischen Rotbannerflotte immerhin eine von vier Hochseeflotten der russischen Marine beheimatet. Wir waren daran weniger interessiert und hielten zusätzlich zu den 12 Seemeilen der Hoheitsgewässer eine zusätzliche Meile Abstand zur Küste. Damit verhinderten wir allerdings nicht, dass uns als Empfangskomitee um Mitternacht ein Hubschrauber bis auf circa 100 Meter anflog. Auf dem Meer in völliger Dunkelheit eine nicht gerade angenehme Begegnung. 135 Seemeilen und 31 Stunden nach Abfahrt aus Danzig erreichten wir schließlich Klaipeda.

Bei meinem Termin hier wollte ich mich über den Ausbau erneuerbarer Energien in Litauen informieren und war dazu mit Professor Stasys Paulauskas verabredet. Der Professor empfing mich im obersten Stockwerk eines modernen Bürohochhauses nahe dem Stadtrand.

Stasys Paulauskas (Jahrgang 1949) ist Naturwissenschaftler und Soziologe, vor allem aber ein außerordentlich umtriebiger Visionär in Sachen Wirtschafts- und Energiepolitik mit umfangreichem Erfahrungsschatz.

Stolz zeigte er mir seinen „Ehrenwimpel der Großbaustelle“ für sein Mitwirken an der Planung des Saßnitzer Hafen Mukran in den 1980er Jahren sowie einige seiner Stellungahmen an die EU-Kommission zu Nachhaltigkeitsfragen. Er ist Autor von über 100 wissenschaftlichen Publikationen, Initiator des Ostsee-Energie-Clusters und gründete 1991 das „Institut für strategische Selbstverwaltung“. 1993 initiierte er die Litauischen Windenergie-Vereinigung deren Präsident er bis heute ist.

 

Nachdem ich ihm mich und meine Tour kurz vorgestellt habe, berichtete mir der Professor über seine vielfältigen Aktivitäten. Obwohl er sich aktuell vor allem auf den Ausbau der Erneuerbaren Energien in Litauen konzentriert, ist sein Fokus wesentlich breiter. Sein Ziel ist die Transformation zu einer – wie er sich ausdrückt – smarten Gesellschaft. Nach seiner Theorie gibt es dazu fünf Stufen.

 

  1. Physical – alles dreht sich um die Produktion
    2. Economical – immer stärkere Ausrichtung nach wirtschaftlichen Kriterien
    3. Environmental – Berücksichtigung von Umweltaspekten
    4. Sustainable – ausschließlich nachhaltige Nutzung von Ressourcen
    5. Smart – vermutlich die logische Folge wenn die anderen 4 Phasen durchlaufen sind 😉

 

Nach einer interessanten Diskussion über seine Theorien gab er mir einen Überblick zur Situation der litauischen Energieversorgung. Hauptenergiequelle sind hier unverändert Kohle und Gas. Das einzige Atomkraftwerk wurde 2009 nach 26 Jahren Betrieb stillgelegt. Die EU-Richtlinie, in der festgelegt wird, welchen Anteil Erneuerbare Energien die Mitgliedstaaten beim Endenergieverbrauch bis 2020 erreichen sollen, legt für Litauen einen Zielwert von 23% fest (Stand 2005 =15%). Zum Vergleich für Deutschland sind es 18% (2005=5,8%). Und gerade vor einigen Wochen hatte das Parlament in Vilnius eine Strategie beschlossen nach der das Land bis 2050 seinen Strom zu 100% im Inland erzeugen soll. 80% davon mit Erneuerbaren Energien. Da hilft es sicherlich, dass Litauen das EU-Land mit dem größten Rückgang (-57%) des Energieverbrauchs auf Basis 1990 ist.
Da Windkraftanlagen an Land im Rahmen von Ausschreibungen in Litauen nur bis zu einer Gesamtleistung von 500 MW gefördert werden, ist der Ausbau 2015 bei 526 MW ins Stocken geraten. Zum Vergleich: Die Offshore-Kapazitäten potenzieller Felder betragen ca. 10 GW. Hier sieht Professor Paulauskas daher den dringendsten Handlungsbedarf um die ehrgeizigen Ziele beim Umbau der Energiewirtschaft zu erreichen.
Um mich nicht ausschließlich mit trockenem Zahlenmaterial zu konfrontieren lud mich der Professor zum Abschluss noch zu einem Gang auf das Dach des 15-Geschossers ein. Dort erwartete mich nicht nur ein fantastischer Ausblick über das Hafengebiet bis hin zur Stadtmitte sondern auch zwei Klein-Windkraftanlage sowie einige Solarpaneele die dort oben montiert waren. Hier wird also nicht nur über erneuerbare Energien geredet. Ein schöner Abschluss eines spannenden Termins. Vor allem dank der Bekanntschaft eines Mannes voller interessanter Erfahrungen und Visionen.

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