Flamingoschwärme und deutsche Soldaten an der venezolanischen Grenze

Mehr als sieben Monate nachdem wir in Santa Marta ankamen wurde der Lockdown beendet und wir konnten endlich unsere Weiterfahrt planen. Das benötigte Einladungsschreiben einer Marina in Panama hatte ich bereits erhalten, genauso wie die erforderliche „Formalnote“ der deutschen Botschaft in der diese unserer Weiterfahrt eine Fürsprache ausspricht. In Coronazeiten ist eben alles noch komplizierter als sonst ohnehin schon.

Um uns den Abschied so schwer wie möglich zu machen, schlug Marlon einen Ausflug zum Cabo de la Vela, nahe der venezolanischen Grenze vor. Ein Bekannter von ihm hatte dort ein Bauvorhaben und des Öfteren schon angeboten, einen Ausflug in die Region zu organisieren. Ein Naturpark mit riesigen Flamingo-Schwärmen stand ebenso auf dem Programm, wie der Besuch von an der Grenze stationierten Soldaten aus USA und Deutschland. Flamingos hatten wir auf Bonnaire schon zahlreich gesehen, mich interessierte eher was deutsche Soldaten an der Grenze zwischen Venezuela und Kolumbien beschäftigt. Vielleicht war das ja auch nur ein Gerücht und um es vorweg zu nehmen: Wir sahen weder Flamingo-Schwärme noch deutsche Soldaten.

Wegen der langen Fahrzeit planten unsere Begleiter die Tour mit einer Übernachtung und schlugen vor, früh um 6 Uhr loszufahren. Treffpunkt war das Firmengelände des Bauunternehmers. Dort angekommen, warteten wir eine Weile bis ihr Wagen fertig gepackt war. Als sie nach den Reisetaschen und der Verpflegung noch begannen umständlich eine riesige Baumaschine für den Transport vorzubereiten, ahnten wir, dass sich die Abfahrt ein wenig verzögern würde. Man müsse noch auf einen Pickup aus Senegal warten, wurde unsere Frage nach der Abfahrtzeit beantwortet. Ich hatte mir zwar schon ein wenig kolumbianische Gelassenheit angeeignet, dennoch hoffte ich sehr, dass sie damit nicht das afrikanische Land meinten. Nach einem Anruf des Pickup-Fahrers schlug man uns vor, schon loszufahren und irgendwo unterwegs gemütlich zu frühstücken. Wir würden uns dann schon irgendwo treffen.

Nach 10-minütiger Fahrt hielt Marlon an der erstbesten Möglichkeit, er hatte wohl ziemlichen Hunger. Kolumbianische Fernfahrer unterscheiden sich was die Ernährung angeht nicht sehr von ihren deutschen Kollegen und die Küche der Raststätte war entsprechend angepasst. Mir war eigentlich nach Croissant und Cappuccino, im Angebot war deftige Knochensuppe; mit sehr vielen Knochen. Marlon überlegte nicht lange, Uta und ich zogen zu dieser frühen Stunde eine Portion Rührei vor.

Eine halbe Stunde später ging es weiter. Aus der Stadt heraus und dann immer die Küstenstraße entlang. Vorbei am immer noch geschlossenen Tayrona-Park, zu normalen Zeiten eines der Highlights Kolumbiens. Nach einer weiteren Stunde passierten wir Palomino, ein Paradies für Backpacker – jetzt wegen Corona ebenfalls ziemlich verwaist. Etwas weiter, mitten auf freier Strecke bremste Marlon plötzlich scharf und fuhr rechts ran. Er hatte in der Ferne einen, alleine in der Landschaft herumstehenden Flamingo entdeckt, den ich fotografieren sollte. Meinen Hinweis, dass wir doch später noch in ein großes Flamingo-Gebiet fahren würden, winkte er ab: Was Du hast, das hast Du! Er sollte damit richtig liegen – auch wenn der Vogel im Teleobjektiv dann zu einem Rosa Löffler wurde. Zumindest die Farbe stimmte. 

In Riohacha, der letzten Stadt vor dem Wayuu-Reservat, fuhren wir in ein großes Einkaufzentrum um eine Kleinigkeit zu essen. Auf dem Weg zurück zum Auto lief uns Samilia mit ihrem Vater und ihren beiden Kindern über den Weg. Wir hatten die Familie bei einer unserer Lebensmittelverteilungen kennengelernt und schon zweimal in ihrem Hostel übernachtet. Danach blieben wir weiterhin locker in Kontakt und daher freuten wir uns sehr über dieses überraschende Wiedersehen. So klein ist manchmal die Welt. Vor dem Einkaufzentrum stießen endlich der Pickup aus Senegal sowie der Rest unserer kleinen Reisegruppe zu uns und es ging im Konvoi nach Uribia, der Hauptstadt des Indianergebietes.

Unterwegs mussten wir leider mit ansehen, wie der Wagen vor uns einen der zahlreichen herumstreuende Hunde anfuhr. Eigentlich ist es erstaunlich, dass dies nicht viel öfter passiert. Entweder laufen sie kurz vor Autos und Mopeds über die Straße oder sie kommen auf die Fahrzeuge zugelaufen und rennen laut bellend eine Weile nebenher. Nicht selten liegen die Hunde auch mitten auf der Straße und bleiben dort trotz Hupen, so dass man vorsichtig um sie herumfahren muss. Im Deutschland hätten wir sicherlich angehalten um den armen Kerl zu einem Tierarzt zu bringen. Aber hier, mitten in der Fremde. Wir hofften, dass einer der Einheimischen sich seiner annehmen würde. Die nächsten Kilometer starrten wir schweigend aus dem Fenster.

Uribia liegt inmitten einer steppenartigen Landschaft. Zahllose Hütten wechseln sich ab mit halbfertigen Barracken. Die Straßen alle unbefestigt. Eine Müllentsorgung scheint es nicht zu geben. Kilometerweit sahen wir Plastikabfälle in der Gegend herumliegen. Insgesamt ein recht trostloser Flecken Erde. Wir fuhren mit den drei Wagen zu einem Grundstück am Stadtrand um dort den Pickup mit der Baumaschine abzuliefern. Hinter einer hohen Mauer mit Stacheldraht befanden sich einige kleine Gebäude sowie ein geräumiger Innenhof mit Pool. Laut dem Besitzer wird die Liegenschaft regelmäßig für Hochzeiten und andere Feiern gebucht. Allerding sah alles so vernachlässigt aus, dass die letzte Party wohl schon eine Weile her war. Und wieder warteten wir. Auch Marlon wusste nicht, wie und wann es weitergehen sollte. Schließlich tauchte ein weiterer Wagen auf. Der Fahrer war offenbar von unseren neuen Freunden als Führer engagiert für den Teil des Ausflugs, der jetzt vor uns lag.

Nun konnte es endlich losgehen. Natürlich nicht, ohne vorher noch einmal vollzutanken. Was Du hast, das hast Du! Jenseits der großen Städte ist das Tanken hier etwas gewöhnungsbedürftig. Wir wunderten uns anfangs immer über die vielen kleinen Stände am Straßenrand an denen irgendeine Flüssigkeit in alten Plastikflaschen verkauft wurde. Seit unserer letzten Motorradtour wissen wir: Das sind die hiesigen Tankstellen. Das Benzin kommt meist illegal aus Venezuela – jedenfalls solange die Grenze noch offen war. Man tankt an diesen Ständen also recht günstig und Dank der Plastikflaschen kann man die Füllmenge und Qualität sogar besser als an einer normalen Tankstelle erkennen. Für den etwas größeren Bedarf von PKWs halten einige auch große 50-Liter-Kanister bereit. Von diesen wird der Sprit dann in 15 Liter-Gebinde umgefüllt um es leichter in den Tank zu bekommen. Unser „Tankwart“ hatte bei dieser gesamten Prozedur eine brennende Kippe im Mund. Ich rutschte unruhig auf meinem Sitz hin und her und überlegte, wo im Wagen der Feuerlöscher lag.

Hinter Uribia ging es 50 Kilometer weiter auf einer Schotterpiste. An einer unscheinbaren Abfahrt bogen wir ab zu einem kleinen Fischerdorf um eine kurze Pause zu machen. Die Fahrt auf der Piste war recht anstrengend. Kaum waren wir in Sichtweite, kam uns das halbe Dorf entgegen um uns mit wilden Armbewegungen den besten Pfad durch die zahlreichen Pfützen und Schlaglöcher zu leiten. Selbst die Kleinsten wedelten aufgeregt hin und her – ohne eigentlich zu wissen, um was es geht. Angekommen am Strand erfrischten wir uns mit kühlen Getränken und staunten über die Vielzahl der angebotenen Souvenirs. Fast jeder aus dem Dorf wollte uns irgendetwas verkaufen. Es war eine unwirkliche Szenerie. Vermutlich bestreiten die Menschen hier zu normalen Zeiten einen Großteil ihres Lebensunterhaltes mit den Einnahmen aus dem Tourismus. Jetzt ist alles wie ausgestorben und unsere drei Geländewagen waren vermutlich seit langem der erste Besuch. Gut, dass wir von unserer letzten Spendentour noch einige Kekspackungen übrighatten. Die Kleinen, wie auch einige der Großen freuten sich riesig. Als wir weiterfuhren, brachte man uns mit den gleichen wilden Armbewegungen wieder zurück zur Piste. Wir versuchten unser Kleingeld gerecht unter der Schar von Einweisern zu verteilen.  Nach ein paar weiteren Schotter-Kilometern bog unser Scout erneut ab. Ab dort gab es keine Piste mehr, es sollte nun noch 17 Kilometer quer durch die Wüste gehen.

Inzwischen war es auch dunkel geworden und unsere Begleiter meinten, wir sollten nicht mehr am Ende, sondern besser in der Mitte fahren. Da es in dieser Gegend gelegentlich zu Überfällen kommt, sei dies sicherer. Wir fuhren gerade ein paar Minuten in dieser neuen Formation, als der Wagen unseres Scouts plötzlich liegenblieb. Der Kühler war undicht und der Motor schaltete sich wegen Überhitzung aus. In der Nähe waren glücklicherweise ein paar Hütten, so dass wir etwas Wasser zum Nachfüllen besorgen konnten. Nachdem der Motor wieder halbwegs heruntergekühlt war, ging es weiter. Erkennbare Wege gab es nicht mehr, wir fuhren dort entlang wo es ging. Der sandige Untergrund hatte sich am Tage wegen einiger Regenfälle in eine rutschige Holperpiste verwandelt. Es ging durch Schlaglöcher und Pfützen deren Tiefe man vorher nicht abschätzen konnte. Wir versuchten so genau wie möglich dem Scout zu folgen, was natürlich immer dann schwierig war, wenn wir nicht dicht genug an ihm dranbleiben konnten. Gelegentlich setzte unser Wagen auf und wir waren uns plötzlich nicht mehr so sicher, ob Marlons Land Rover tatsächlich für diese Art Strecke geeignet ist.

Bis zu unserem Ziel, einer kleinen Siedlung am Meer, hielt unser Scout noch einige Male zum Nachfüllen seines Kühlers aber irgendwie kamen wir schließlich alle heil an. Kurz vor dem Dorf wurden wir allerdings noch von Soldaten gestoppt. Wir hatten sie in ihrer Tarnkleidung fast übersehen. Und auch ihr kleiner Unterstand war wegen fehlender Beleuchtung kaum erkennbar. Nach einer ausführlichen Befragung konnten wir unseren Weg fortsetzen, zumindest bis zum Dorfeingang. Dort wurden wir erneut gestoppt, diesmal von Polizisten. Diese ließen zwar unsere kolumbianischen Begleiter passieren, wir Ausländer aber mussten warten. Wegen Corona sei Touristen der Zugang zum Dorf nicht gestattet. Marlon erklärte forsch, dass wir keine Touristen seien, sondern eine ausländische Delegation, die sich über den Windpark hier in der Region informieren will. Die kurze Unsicherheit der Polizisten nutzten wir um weiterzufahren.

Leider kannte niemand die genaue Adresse unserer Unterkunft und es war auch nach einigen Telefonaten niemand in der Lage sie in Erfahrung zu bringen. Wir befürchteten schon, die Nacht zu viert im Autos verbringen zu müssen. Allerdings sagt Marlon immer: Das Schöne an Kolumbien ist, egal wie die Lage ist – es findet sich immer eine Lösung. Und siehe da: Zufällig öffnete uns jemand bei dem Grundstück vor dem wir gerade standen die Tür und zufällig gab es dort auch ausreichend Betten für uns. Also fuhren wir die Autos auf den Hof und bezogen unsere Zimmer. Dummerweise war die Einfahrt immer noch in Sichtweite der Polizisten. Gerade als wir unsere Sachen ausgepackt hatten, tauchten sie auf um uns wieder fortzuschicken. Sie hatten allerdings nicht mit der resoluten Wirtin gerechnet, die ihnen lautstark klarmachte, dass sie nicht bereit wäre auf uns zahlende Gäste zu verzichten. Hungrig und müde schlossen wir unsere Zimmertüren ab, löschten die Lichter und warteten verunsichert wie das Ganze ausging.

Die nächste Übernachtungsmöglichkeit wäre erst wieder ungefähr zwei Stunden die Strecke zurück. Bei den Streckenverhältnissen im Dunkeln eigentlich unmöglich. Nachdem unsere Wirtin den Polizisten auch noch empört mitteilte, dass sie auch nicht zur Zahlung eines kleinen Bestechungsgeldes bereit war, zogen sie sich zurück. Wir wussten allerdings nicht, von welcher Dauer dies sein würde. Aber erst einmal freuten wir uns auf das improvisierte Abendessen unserer Gastgeberin und die Wartezeit überbrückten wir, in dem wir im Innenhof mit ihrer Familie das WM-Qualifikationsspiel Kolumbien gegen Chile schauten. Nach einem herzhaften Imbiss gingen wir noch ein paar Schritte am Strand spazieren und fielen dann völlig erschöpft in unsere Betten. Trotz einer großen Kakerlake sowie diverser Käfer im Zimmer schliefen wir sofort ein.

Am nächsten Morgen ging es ohne Frühstück weiter da die Küche nur gehackten Fisch im Angebot hatte. Irgendwie war uns nach so etwas noch nicht. Wir wussten zwar nicht, wann es das nächste Mal etwas zu Essen geben würde, aber schließlich hatten wir ja noch eine Chipstüte und einige Kekse übrig. Unsere vorsichtige Nachfrage, ob und wann wir denn zu den Soldaten oder den Flamingos fahren würden, wurde mehrfach höflich überhört. Stattdessen überraschten unsere Organisatoren uns mit der Nachricht, dass wir uns nun auf eine mehrstündige Bootsfahrt zu einigen Buchten und Stränden zum Cabo de la Vela begeben würden. Kurz nach dem Ablegen warf der Besitzer des kleinen Fischerkahns eine Schleppangel aus und nur ein paar Minuten später zappelte ein großer Barrakuda daran. Zumindest für das Mittagessen war nun gesorgt. Wer den Fisch aber wo und wie zubereiten würde, war wie so vieles auf unserem Ausflug noch unklar.

Die Küste war atemberaubend. Wir umrundeten kleine Felsen mit zahlreichen Vögeln und fuhren in eine riesige Grotte mit Hunderten von Krebsen und Fledermäusen. Einige Buchten weiter brachte uns der Fischer an einen breiten Sandstrand. Vom Ufer führte ein steiniger Weg auf einen 200 Meter hohen Hügel mit einer kleinen Kapelle und einem fantastischen Ausblick auf die gesamte Küstenlinie. In der Ferne drehten sich einige Windkraftanlagen; bislang die einzigen die wir in Kolumbien sahen. Ganz in der Nähe, das Cabo de la Vela. Das erste Stück Kolumbien was wir damals bei unserer Ankunft sahen. Nun, acht Monate später kehrten wir noch einmal hierher zurück. In Seglerkreisen ist das Kap wegen seiner heftigen und überraschenden Winde berüchtigt. Bei unserer Überfahrt von Curacao war ausgerechnet dort die einzige Stelle, wo wir wegen Flaute den Motor starten mussten.

Nach dem Abstieg von unserem Aussichtshügel erfrischten wir uns noch eine Weile beim Baden in dem kristallklaren Wasser. Selbst in dieser Abgeschiedenheit saßen unter einem Sonnenschutz aus getrockneten Kakteen einige Indigo-Frauen und boten ihre Handarbeiten zum Verkauf. Ihre Gesichter waren mit einer Art Schlammmaske überzogen. Wir fragten uns zum wiederholten Male, was die Menschen hier in dieser Einöde hält und wie wohl der ganz normale Alltag bei ihnen aussieht. Vor ihnen Wasser, hinter ihnen Sand. Ein Leben zwischen zwei Wüsten.

Unsere kleine Reisegesellschaft machte sich wieder auf den Weg und es folgte ein kurzer Abstecher in eine Bucht die berühmt sei für ihren schwarzen Kies. Wir konnten beim besten Willen nicht erkennen, was daran besonders sein sollte, aber zumindest der Bauunternehmer bekam leuchtende Augen. Zum Spazieren oder Herumliegen war es jedenfalls zu unbequem und so machten wir uns zeitnah auf den Rückweg. Mittlerweile hatten wir auch ziemlichen Hunger. Zwar gab es da noch den Barrakuda, doch weit und breit keine Möglichkeit, ihn zuzubereiten. Die Restaurants im Ort sahen alle ziemlich verwaist aus. Während wir in die Wagen stiegen, fing es fürchterlich an zu regnen und die Route aus dem Ort war von einem Augenblick auf den anderen völlig überflutet. Außerdem ging die Sichtweite gegen Null und so beschlossen wir das Ende des Regens abzuwarten. Der Fischer organisierte derweil die Zubereitung unseres Fangs durch eine seiner fünf Frauen (die Wayuu leben in Polygynie) und so saßen wir kurze Zeit später gemütlich am Strand beim Lunch.

Während des Essens ließ ich meinen Blick umherschweifen. Plötzlich traute ich meinen Augen nicht. Eine etwa 80-jährige Frau lief bis auf einen Gürtel splitternackt die Hauptstraße entlang. Die anderen Dorfbewohner schien das nicht wundern. Einer rief laut ihren Namen und Lucy winkte fröhlich zurück. Sie hockte sich ein Weilchen neben eine Katze um sie zu streicheln, dann setzte sie ihren Weg fort.

Als von dem Barrakuda nur noch Gräten übrig waren, zeigte die Uhr bereits 14:00 Uhr und wir hatten ja noch mindestens fünf Stunden Rückfahrt nach Santa Marta vor uns. Wir mussten endlich losfahren. Der Weg den wir auf der Hinfahrt genommen hatten, war immer noch unpassierbar, so dass wir einen längeren Umweg zurück auf die Schotterpiste nahmen. Leider standen auch hier etliche Abschnitte noch länger unter Wasser und so wurde es an jeder größeren Pfütze eine Zitterpartie, ob wir mit den Wagen durchkommen.

Zum einem bestand die Gefahr stecken zu bleiben, zum anderen droht ab einer gewissen Wassertiefe der Luftfilter Wasser zu ziehen und so einen Motorschaden zu verursachen. Marlon wechselte ständig zwischen Fluchen und Beten. An manchen Stellen lief jemand zu Fuß voran um die jeweilige Tiefe zu loten. In einer Kurve wo man die Wahl hatte, entweder eine recht steile Böschung hochzufahren oder eine unübersichtliche Wasserfläche zu durchqueren, traf ausgerechnet unser Scout die falsche Entscheidung.

Sein Toyota-Geländewagen blieb bis zum Unterboden im Schlamm stecken und nichts ging mehr. Weder vor noch zurück, mit oder ohne Allrad, Ziehen, Schieben – alles vergeblich. Der Versuch, ihn mit einem der anderen Fahrzeuge herauszuziehen endete mit einem gerissenen Abschleppseil. Und zu allem Überfluss stürzte auch noch die über ein Meter hohe Seitenwand des ausgewaschenen Pfades ein und krachte gegen die Fahrerseite. Einige Dorfbewohner waren mittlerweile aufgetaucht und halfen beim Freischippen. Einer von ihnen holte per Moped von seinem Boot zwei lange Leinen und Marlon hatte die Idee, beim nächsten Schleppversuch beide anderen Wagen zugleich zu nutzen. Mit Erfolg: Nach anderthalb Stunden war der Toyota endlich wieder frei.

Unser Glück war allerdings von kurzer Dauer. Wenige Meter weiter blieb unser Scout erneut liegen. Diesmal wieder wegen Motorüberhitzung aufgrund des leckenden Kühlers. Die drei Kolumbianer verloren nun die Geduld mit dem Führer, der uns mehr aufhielt als voranbrachte. Sie beschlossen, ohne ihn weiterzufahren. Uns tat der Pechvogel leid, aber auch wir wollten nicht mehr länger warten. Eine Stunde später war Sonnenuntergang. Um unser schlechtes Gewissen zu beruhigen, gaben wir ihm ein paar Kekse, dann folgten wir den anderen.

Eigentlich dachten wir, dass es wegen der ganzen Verzögerungen jetzt direkt zurück nach Santa Marta geht, aber nun steuerten wir doch noch auf den Windpark zu, den wir schon vom Cabo aus gesehen hatten. Eines der nächsten Vorhaben des Bauunternehmers war wohl ein ähnliches Projekt und so verband er unseren kleinen Ausflug praktischerweise mit der Besichtigung eines bereits vorhandenen Anschauungsobjektes. Wir wurden ob der fortgeschrittenen Zeit langsam unruhig. Marlon hatte zwar nach wie vor die fixe Idee, an dem Abend noch auf eine Party zu gehen zu der er eingeladen war, aber auch ihm kamen erste Zweifel bezüglich des Zeitplans. Glücklicherweise blieb uns nicht viel Zeit für die Besichtigung, da der Sicherheitsdienst über unseren unangekündigten Besuch nicht sonderlich erfreut war und uns höflich aber bestimmt vom Gelände schickte. Nach wenigen Kilometern waren wir endlich wieder auf der Piste. Wegen des Umwegs allerdings weiter von Uribia entfernt als bei der Hinfahrt. Vor uns nun 65 Kilometer Schotter.

Die Begegnung mit deutschen Soldaten hatte ich inzwischen schon abgeschrieben, aber eventuell klappt es ja noch mit den Flamingos. Ich glaubte aber nicht wirklich daran. Inzwischen dämmerte es. Kurz vor Sonnenuntergang wurden wir an einer improvisierten Straßensperre gestoppt. Mir fielen diverse Entführungsgeschichten aus Kolumbiens jüngerer Vergangenheit ein. Nach großem Herumgefuchtel und längerem Palaver zwischen unseren, vor uns fahrenden Begleitern und den Herumstehenden ließ man uns schließlich passieren. Später erfuhren wir – ohne die genaue Summe zu hören, dass es sich um das Eintreiben einer Art Wegzoll gehandelt habe.

Gegen 19:30 erreichten wir endlich Uribia und Marlon fiel ein Stein vom Herzen als er nach dem Aussteigen seine verdreckten Scheinwerfer sah. Er war fest davon überzeugt, dass sie deshalb so schwach leuchten, weil sie durch die Wasserdurchquerungen defekt waren. Dabei waren sie nur so sehr mit Dreck verkrustet, dass selbst die Reinigungsdüsen nichts mehr ausrichten konnten. Wasser ist in dieser Wüstenregion ein knappes Gut und die einzige Möglichkeit die Scheinwerfer wieder halbwegs sauber zu bekommen war, im Kiosk ein paar Flaschen Trinkwasser zum Reinigen zu kaufen. Für den Rest der Strecken hatten wir jetzt wieder beste Sicht.

Da wir wussten, dass wir noch eine lange Fahrt vor uns hatten, wollten wir noch eine Kleinigkeit essen. Bis auf den Kiosk hatte aber leider alles schon zu. Einer von uns kam auf die Idee, einfach ein Toastbrot sowie jeweils eine Packung Mortadella und Käse zu kaufen. Die trockenen Sandwiches waren alles andere als lecker, erfüllten aber ihren Zweck und wir konnten uns gestärkt auf den Weg machen. Vorher verabschiedeten wir uns noch von den drei Kolumbianern da die drei auf ihrem Grundstück in Uribia übernachten wollten. Kein Wunder, dass sie es bis hierin nicht so eilig hatten.

Auf der Straße nach Santa Marta mussten wir wieder zahlreichen Hunden ausweichen, einmal mit Vollbremsung. In Palomino sahen wir dann sogar, wie ein über die Straße rennender Hund in ein Moped geriet. Der Fahrer nebst Frau und Kind kippte mit seinem Gefährt um. Offenbar unverletzt, denn im Vorbeifahren sahen wir sie alle drei aufstehen um ihre Fahrt fortzusetzen. Mopeds sind hier öfter völlig überladen. Nicht selten sieht man drei oder vier Personen auf den Maschinen sitzen. Einmal sah ich sogar eine fünfköpfige Familie auf diese Weise fahrend.

Mit zunehmender Stunde fand sich Marlon damit ab, dass die Party wohl ohne ihn stattfinden würde. Es war fast Mitternacht als wir nach Santa Marta hineinfuhren. Eine halbe Stunde später waren Uta und ich völlig geschafft an Bord der Daphne. Was für eine Tour. Unvorstellbar, dass wir nur zwei Tage unterwegs waren.

Ein Kommentar

  • Dani

    Lieber Micha, herzlichen Dank für diesen unterhaltsamen Bericht. Mir ist das alles sehr vertraut aus Afrika. Wir hatten einen köstlichen amüsanten Abend und deine Schreibkunst ist fantastisch. Ich hoffe, Uta gibt es auch noch und sie lebt und sie kann noch lachen. Lieben Gruß, seid gedrückt, alles Gute für die Weiterfahrt. Dani

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