Spendentour mit Komplikationen

Nach unseren zwölf Verteilaktionen in Kolumbien hatten wir noch ungefähr 1.000 € Spendengeld übrig. Für das Organisieren einer weiteren Verteilung reichte die Zeit nicht und so hatten wir schon von Santa Marta aus versucht, in Panama lokale Partner für eine Fortsetzung unseres Projektes zu finden. Zufällig kannten unsere Stegnachbarn, zwei Rotary-Mitglieder in Linton Bay – unserer ersten Station in Panama. Rosalind und Allain hatten über ihren Club schon diverse Lebensmittelverteilungen durchgeführt und waren daher die idealen Partner für unser Vorhaben. Leider konnte eine, für den 6. Januar geplante Aktion wegen neuer Corona-Beschränkungen nicht stattfinden. Rosalind gab uns allerdings die Telefonnummer von Victor, einem in Panama City lebenden Kuna dessen Vater ein Oberhaupt auf der San Blas Insel Wichub-Wala ist. Victor ist derzeit bei seiner Familie zu Besuch und hatte schon öfter ähnliche Hilfsprojekte durchgeführt. Per WhatsApp hatten wir schnell verabredet, dass wir fünf Tage später Lebensmittel für circa 90 Familien nach Wichub-Wala liefern und verteilen würden. Eigentlich alles überhaupt kein Problem; wir hatten ja schon ein Dutzend solcher Verteilungen durchgeführt.

Auch unsere Tochter Antonia freute sich auf die Aktion. Sie war erst vor drei Tagen an Bord gekommen. Uta musste kurz nach Weihnachten wegen ihrer Arbeit wieder zurück nach Deutschland und ich freute mich, als Antonia vorschlug, für ein halbes Jahr auf DAPHNE anzuheuern.  Der Plan war nun wie folgt: Eine Liste mit den benötigten Lebensmitteln im Rahmen von 1.000 $ wird in den Supermarkt geschickt, dort bereiten die Mitarbeiter alles zur Abholung vor, wir fahren mit einem Taxi die Sachen abholen und bezahlen und anschließend zurück zur DAPHNE um alles zu verstauen und am nächsten Tag nach San Blas mitzunehmen. Soweit meine Vorstellung vom Ablauf. Um die Sachen an Bord zu bekommen, hatten wir DAPHNE für einen Tag vom Ankerplatz in die Marina verlegt.

Das erste Missverständnis gab es bereits bei der Einkaufliste. Victor meinte, wir sollten mitbringen, was wir möchten – wir erwarteten eine fertige Excel-Tabelle mit allen benötigten Produkten, Mengen und Preisen. Nach einigem Hin – und Her schickte er zumindest eine kurze WhatsApp mit den benötigten Artikeln. Die entsprechenden Mengen und Preise passte ich anschließend auf Basis unserer Erfahrungen in Kolumbien an, unter Berücksichtigung, dass hier alles circa 20% teurer ist. Die alte Excel-Tabelle hatte ich zwar noch als Vorlage aber das Ganze dauerte trotzdem Stunden.

Das nächste Missverständnis entstand als Victor uns den Kontakt zu einem Fahrer schickte. Ich ging davon aus, dass dieser aus der Region stammen würde, ortskundig sei und, da es sich um eine Spendenaktion handelte, kostenlos oder sehr günstig fahren würde. Wir verabredeten also mit Nachos, dass er uns am nächsten Tag um 10 Uhr abholen würde. Als er nach 30 Minuten Warten immer noch nicht erschien, kontaktierte ich Victor, der uns zu meiner Überraschung mitteilte, dass wir mit Nacho nicht vor 11.30 rechnen könnten, da er ja schließlich aus Panama City kommen würde und zudem die Straßen hier in der Region nicht kennen würde. Außerdem würde er wohl eine Bezahlung erwarten. Ich fragte Victor, warum in aller Welt, wir einen Fahrer extra aus Panama City bezahlen sollten, der keinerlei Ortskenntnisse hat, nur Spanisch spricht und uns Null Vorteile gegenüber einem lokalen Taxi bringt. Wir trugen ihm auf, Nacho zu stornieren, er stimmte zu.

Die im Grunde unkomplizierte Aktion entwickelte sich mehr und mehr zu einem größeren Logistik-Problem. In der Marina boten sie an, uns ein passendes Großraumtaxi zu organisieren. Aus dem ersten Versuch wurde leider nichts – sie hatten es schlicht vergessen – und der zweite Versuch scheiterte, da der Fahrer bei der Darstellung seiner Fahrzeuggröße ziemlich übertrieben hatte. Mit seinem als Transporter angepriesenen Kleinwagen brauchten wir erst gar nicht losfahren. Ich hatte die Hoffnung aufgegeben und lief in Richtung Straße um einfach den nächstbesten größeren Wagen zu stoppen und um Hilfe zu bitten. Da kam plötzlich, der ja eigentlich stornierte Nacho auf den Parkplatz. Scheinbar hatte ihn Victors Nachricht nicht erreicht – in diesem Fall zu unserem Glück, denn nun konnten wir mit nur anderthalb Stunden Verspätung endlich nach Sabanitas zum Supermarkt fahren.

Wegen eines riesigen Staus brauchten wir für die letzten drei Kilometer genauso lange, wie für die ersten sechzig. Zwischenzeitlich verfuhr sich unser Fahrer auch noch; trotz des Navigationssystems – er kam schließlich aus Panama City. Um 14 Uhr fuhren wir endlich auf den Parkplatz des „Rey“-Marktes. Jetzt erst erklärte uns Nacho, dass wegen des Lockdowns, das Einkaufen Männern und Frauen nur nach Wochentagen getrennt möglich sei. Heute war Frauentag und Antonia sah sich schon alleine mit sechs Einkaufswagen in dem Markt umherirren. Dennoch waren wir noch immer hochmotiviert, diesen Rieseneinkauf so gut wie möglich hinter uns zu bringen. Und eigentlich begann alles auch ganz gut denn entgegen unserer Befürchtungen durfte ich Antonia begleiten. Ich fragte nach dem Manager und besprach mit ihm, dass wir einen Rabatt bekommen da es sich um eine „action humantitas“ handelt und sich zwei Mitarbeiter um das Beladen der Einkaufswagen mit den Dingen auf unserer Liste kümmern. Trotzdem dauerte es zweieinhalb Stunden bis wir mit den sechs prall gefüllten Wagen an der Kasse standen. Dabei ging es nur um 11 verschiedene Produkte.

Die Kollegen hatten es allerdings nicht wirklich eilig und ohne unser gelegentliches Eingreifen, würden wir vermutlich noch immer zwischen den Regalen warten. Leider konnte sich beim Bezahlen niemand mehr an die Verabredung mit dem Rabatt erinnern aber wir schafften mit 1.006 $ trotzdem fast eine Punktlandung. Alles war in der geplanten Menge im Einkauf, bis auf das Milchpulver, da es wesentlich teurer war als in Kolumbien. Aber dann geht es eben nur an Familien mit Kleinkindern – wird schon passen. Zurück ging es ohne Stau etwas schneller und wir erreichten die Marina kurz vor Sonnenuntergang.

Mit zwei Schubkarren brachten wir die Ladung an DAPHNEs Liegeplatz und verabschiedeten uns von Nacho. Während ich noch überlegte, wieviel ich ihm jeweils für Benzin und Trinkgeld in die Hand drücken wollte, schrieb er schon von sich aus „125 $“ auf sein Smartphone und hielt es in meine Richtung. Er kommt ja schließlich aus Panama City. Ich musste kurz schlucken. Das war das Doppelte, was uns ein Fahrer aus der Region gekostet hätte. Ich war nach dem ganzen Stress allerdings nicht zu großen Auseinandersetzungen aufgelegt. Ich bezahlte widerwillig und nahm mir vor, mich bei Victor zu beschweren, zumal wir von Nacho zufällig erfahren hatten, dass er Victors Onkel ist.

Vor dem Beladen wollten wir DAPHNE noch etwas abspülen – schließlich war dies für einige Zeit die letzte Gelegenheit. Noch dringender war allerdings, in der Hafenkneipe eine Pizza zu bestellen. Wir hatten den ganzen Tag noch nichts gegessen und sie hatten dort nur noch eine halbe Stunde geöffnet. Als wir uns dann endlich ans Beladen machten, war es dunkel. Antonia reichte mir jeweils die Pakete an Bord, ich brachte sie unter Deck und verstaute sie. Plötzlich hörte ich einen Schrei. Antonia hatte eine Kakerlake entdeckt – gerade noch rechtzeitig um zu sehen, wie sie flink unter einen unserer Pappkartons flüchtete. Das war nun das letzte was wir gebrauchen können: Eine Kakerlake an Bord zu schleppen – wohlmöglich kurz vor der Eiablage. Glücklicherweise konnten wir sie stellen und schafften es, sie mit einem Besen ins Hafenbecken zu befördern. Langsam waren wir mit unseren Nerven am Ende. Ich sagte zu Antonia, dass wir trotz allem ja noch Glück haben, da es wenigstens nicht regnet, als es auch schon anfing, wie aus Eimern zu schütten. Wir mussten uns nun beeilen, die restlichen Pakete aus dem Regen zu schaffen, abzutrocknen und unter Deck zu bekommen. Insgesamt galt es immerhin circa 700 Kilogramm zu verstauen. Leider hatte es einer der Säcke Reis nicht so eilig wie wir. Er riss auf und verstreute einen Teil seines Inhalts im Cockpit der frisch geputzten DAPHNE. Eine gefühlte Ewigkeit später war endlich alles verstaut. Jedenfalls fast.

Ein großer Karton mit 70 Plastikflaschen Speiseöl stand noch immer in der Schubkarre. Diese hatte ich auf dem Steg ganz an der Seite abgestellt, damit man noch bequem daran vorbeilaufen kann. Keine gute Idee. Unser Stegnachbar hatte mitbekommen, dass wir es wegen des Regens sehr eilig hatten und kam von seinem Boot um uns zu helfen. Dummerweise wollte er aber an der falschen Seite um die Schubkarre herum und blieb mit dem Hosenbein an einem der Griffe hängen. Es kam wie es kommen musste: Wie in Zeitlupe kippte die Karre samt Karton zur Seite, fiel auf den verdutzten Skipper und stürzte zusammen mit ihm in das dunkle, verregnete Hafenbecken. Die Karre versank schneller als wir gucken konnten, unser „Helfer“ klammerte sich mit einer Hand an den Steg um mit der anderen krampfhaft den Pappkarton vom Wegtreiben zu bewahren.

Antonia versuchte verzweifelt sich das Lachen zu verkneifen und beugte sich zu ihm hinunter um ihm aus dem Wasser zu helfen. Er hingegen wollte partout nicht den Karton loslassen. Erst als auch ich am Steg über ihm stand, ließ er sich überreden, uns beide Hände zu reichen damit wir ihn rausziehen konnten. Anschließend kümmerten wir uns mit vereinten Kräften um die umhertreibenden Flaschen. Praktisch, dass Öl leichter als Wasser ist. So ließen sie sich nach und nach alle aus dem Wasser fischen während der Pappkarton sich langsam auflöste. Ende gut alles gut. Jetzt musste nur noch alles halbwegs getrocknet und gesäubert werden. Nach einer Stunde war schließlich alles im Trockenen verstaut und wir konnten endlich beruhigt in die Kojen. Dieser Tag hatte uns völlig geschafft.

Für den nächsten Tag hatte der Wetterbericht zwar guten Wind vorhergesagt, leider aber auch Regen und einige Gewitter. Keine besonders widrigen Bedingungen, aber eben auch kein Easy Sailing. Schade, denn für Antonia war es ja der erste Segeltag seit ihrer Ankunft hier vor vier Tagen. Vor dem Ablegen mussten wir noch etliche Pakete aus dem Cockpit unter Deck verstauen. Um 8:30 legten wir ab Richtung San Blas. Wider Erwarten war die Fahrt recht entspannt und wir kamen zügig voran. Statt der prognostizierten 10 Stunden erreichten wir Wichub-Wala bereits um 16:30. Dort folgte dann Missverständnis Nummer 3. Ich ging davon aus, dass die Verteilaktion mit den örtlichen Behörden abgestimmt sei – schließlich war Victor ja der Sohn vom Bürgermeister, oder so ähnlich. Noch bevor ich den Anker richtig eingefahren hatte, kam ein Boot mit drei Männern und einer Frau vom „Congreso“ längsseits. Die Lokalregierung der halbautonomen Guna Yala Region, wie San Blas offiziell heißt, ist gleichermaßen bei Kuna-Bevölkerung wie auch bei Seglern „beliebt“.

Obwohl die Seegewässer formal zu Panama gehören und man bei der Einreise bereits 180,–$ für eine „Cruising Permit“ zahlen muss, verlangt der Congreso für das Befahren von San Blas noch einmal 60,– $. Und zwar pro Monat. Aber für uns gab es wegen Corona noch nicht einmal diese Option denn angeblich sind Freizeitboote aktuell überhaupt nicht erlaubt. Wir wurden aufgefordert den Anker zu lichten und umzukehren. Ich schilderte die besonderen Umstände unseres Besuches – ohne Erfolg. Also rief ich Victor an und bat ihn, sofort von der Insel herüberzukommen um das Problem zu klären. Doch auch er konnte den Congreso nicht umstimmen: Wir sollten zurückfahren. Großzügig würde man uns natürlich gestatten, die Lebensmittel von der DAPHNE auf ihre Boote umzuladen. Ich erwiderte, dass ich weder die Spenden ohne Beaufsichtigung und Dokumentation der Verteilung übergeben würde, noch wäre ich bereit, jetzt im Dunkeln bei Regen, alleine mit meiner Tochter, den Rückweg anzutreten. Ich machte eine Geste wie mit Händen in Handschellen und meinte, sie könnten uns ja ins Gefängnis stecken. Mein Puls war auf 180. Unsere Mindestforderung war, dass wir über Nacht bleiben dürfen, die Lebensmittel am nächsten Morgen verteilen und anschließend sofort abfahren (natürlich nicht zurück, sondern tiefer in den Archipel, aber das behielt ich für mich). Auch dieser Vorschlag wurde abgelehnt, da wir nicht an Land gehen dürften.

Für eine Weile herrschte Schweigen. Schließlich trug man uns auf, die Delegation mit unseren Dokumenten zur Hauptinsel zu begleiten um uns dort beim „Registration Office“ ganz offiziell anzumelden und die besagten 60,–$ zu zahlen. Wohlgemerkt, nur um eine Nacht bleiben zu dürfen. Wir mussten uns ziemlich zusammenreißen um nicht auszurasten. Das bringt in solchen Situationen erfahrungsgemäß nicht viel. Also machten wir gute Mine zum bösen Spiel und willigten ein. Als wir alle Unterlagen beisammen und unsere Regenklamotten angezogen hatten, kam die nächste Planänderung: Wir könnten ja genaugenommen gar nicht an Land – auch nicht ins Registration Office. Daher sollten wir ihnen unsere Pässe und anderen Papiere geben, sie würde das dann für uns erledigen und sie umgehend zurückbringen. Ich hörte Antonia unter Deck hysterisch auflachen. Wenn wir im Ausland irgendetwas nicht aus den Augen lassen, dann sind es unsere Pässe. Ich schlug vor, sie könnten alles abfotografieren und die 60,–$ sofort in cash kassieren. Quittung und Registration könnten sie mir dann später per eMail schicken.

Endlich hatten wir eine Lösung und drei Portraits von Andrew Jackson wechselten den Besitzer – nicht ohne Beweisfoto. Kurz darauf waren wir die Nervensägen los und konnten mit Victor die Verteilung planen. Er schlug vor, dies noch am selben Abend abzuwickeln und dann am nächsten Tag sofort bei Sonnenaufgang loszusegeln. Schließlich waren wir in Sichtweite des Congresos und wir wollten nicht riskieren, tatsächlich nach Linton Bay zurück zu müssen.

Gesagt, getan: Wir luden die 700 kg in das Boot von Victor und seinen Begleitern, stiegen selbst auch hinein und fuhren alle gemeinsam hinüber nach Wichub-Wala wo die ganze Lieferung zur Verteilung in ein großes Gemeinschaftshaus gebracht wurde. Ein Teil der Inselbevölkerung erwartete uns schon aufgeregt am Steg und half beim Tragen.

In dem geräumigen Versammlungsgebäude erwarteten uns die restlichen Kunas und hatten die Verteilung sehr professionell vorbereitet. Die Familien wurden vom Schriftführer der Gemeinde aus einer langen Liste nach und nach aufgerufen um die Lebensmittel, die zuvor ordentlich aufgereiht wurden, in Empfang zu nehmen. Natürlich fehlten einige Packungen Milchpulver und ich konnte mir nicht verkneifen, Victor zu sagen, dass dies leider wegen der hohen Taxikosten so sei. Antonia und ich nutzen die Verteilung um mit den InselbewohnerInnen ins Gespräch zu kommen. Victor fungierte als Dolmetscher.

Seit die Kuna Mitte des 18 Jahrhunderts aus dem Golf von Darien vertrieben wurden, erstreckt sich ihr Siedlungsgebiet über einen 200 Kilometer langen Küstenstreifen inklusive der über 360 vorgelagerten Inseln, von den circa 50 bewohnt sind. In der Provinz Guna Yala, wie die Region um die San Blas Inseln offiziell heißt, leben circa 30.000 Kuna und auch wenn die Männer im Alltag präsenter sind als die Frauen, herrscht bei den Kunas ein Matriachat: Familienoberhaupt ist die Frau und der Mann zieht nach der Hochzeit zu der Familie seiner Angetrauten. Land ist ihnen heilig und ein Allgemeingut. Es kann weder verkauft noch verpachtet werden. Seit einem Aufstand im Februar 1925, der Dule-Revolution besitzen die Kuna eine sehr weitreichende Autonomie wodurch sie wie kaum eine andere Ethnie in Süd- und Mittelamerika ihre kulturelle Identität bewahren konnten.

Das Leben in Abgeschiedenheit führte durch Inzucht auch immer wieder zu Albino-Geburten. Im Gegensatz zu afrikanischen Kulturen haben diese hier allerdings eine große Akzeptanz. Ebenso wie Transsexuelle. Wenn ein Junge beispielsweise weibliche Verhaltensweisen zeigt, wird dies ganz selbstverständlich von der Familie akzeptiert und es ihr ermöglicht, als Mädchen aufzuwachsen.

Einige Kunas berichteten uns, wie sie auf dem Festland Obst und Gemüse anbauen um sich auf der Insel zu verpflegen. Das Eiland selbst ist komplett von der Siedlung eingenommen. Jeder bewohnten Insel ist deshalb eine Fläche auf dem Festland zur Versorgung zugeordnet. Meist wird auch das Frischwasser von dort beschafft. Eigentlich ist die Landwirtschaft ausschließlich Männersache, nachdem der Molaabsatz aufgrund der Corona-Restriktionen eingebrochen ist, beschlossen aber mehr und mehr Frauen, ebenfalls auf den Feldern zu arbeiten. Doch nicht nur die Versorgung mit Lebensmitteln ist schwierig, Strom ist ebenso Mangelware auf den Inseln. Nicht selten kommen an unseren Ankerplätzen Kunas mit ihrem Booten vorbei um über Nacht Smartphone und Powerbank aufzuladen. Manchmal sind auf den Yachten vier Geräte oder mehr eingestöpselt. Auch beim Netzempfang gibt es große Lücken. Dies ist in Pandemiezeiten vor allem beim Thema Bildung ein Problem. Die Inselschule auf Wichub-Wala ist wie alle anderen geschlossen, die Lehrkräfte vom Festland kommen nicht mehr und der Online-Ersatzunterricht fällt wegen des schlechten Netzes ebenfalls aus.

Aus alter Gewohnheit musste ich selbstverständlich auch den Dorfvorsteher ausgiebig nach seinen Funktionen und Aufgaben befragen. Er wird auf Lebenszeit von der Dorfgemeinschaft gewählt und bezeichnete auf Nachfrage seine Position mehr als Ehre und Freude denn als Last – obwohl er eine recht große Verantwortung für das Dorfleben trägt, da er teilweise auch Recht spricht und Streitigkeiten schlichten muss. Dies geschieht alles im Gemeinschaftshaus, in dem regelmäßig Dorfversammlungen stattfinden. Meistens mit allen Erwachsenen, je nach Thema aber auch ausschließlich unter Männern oder nur für Frauen.

Um die Verteilung wie gewohnt für die SpenderInnen in der Heimat zu dokumentieren, habe ich auch wieder viel fotografiert, was wegen der Lichtverhältnisse und der anfänglichen Schüchternheit der Kuna etwas schwieriger als sonst war. Nachdem sie sich aber an das Blitzen gewöhnt waren, fanden sie es witzig sich jeweils danach auf dem Kameradisplay zu betrachten und ich hörte fortan von allen Seiten ständig „Foto, Foto“.

Als Dankeschön für unsere Spendenaktion bekamen wir von einer Kuna zwei hübsche Molas überreicht. Die Tradition dieser kunstvollen Stickereien geht zurück auf die Zeit der Eroberer, als Missionare den indigenen Frauen Tätowierungen untersagten. Als Folge begannen diese, ihre zuvor unter die Haut gebrachten Motive und Muster nun in feinen Stickereien zu verarbeiten und damit ihre Kleidung zu verzieren. Die aus der Not geborene Folklore erfreut sich inzwischen natürlich auch bei TouristInnen großer Beliebtheit und so ist inzwischen um die Mola eine regelrechte Industrie entstanden. Handgefertigte Arbeiten erkennt man an den sehr feinen aber dennoch etwas unregelmäßigen Stichen. Da hierfür eine ausgezeichnete Sehkraft Voraussetzung ist, werden sie von den Frauen zumeist nur bis zum Alter von ungefähr 35 Jahren gefertigt.

Nach circa zwei Stunden hatten alle Familien ihre Lebensmittel und wir waren erschlagen von den vielen Informationen und Eindrücken. Vor allem für Antonia, die erst vor vier Tagen aus der winterlichen Heimat angereist war und noch nicht einmal dazu gekommen ist, ihre Tasche richtig auszupacken, waren diese beiden Tage wie einen Achterbahnfahrt. Victor brachte uns zurück auf unsere DAPHNE wo wir beide nach einem kurzem Abendessen völlig erschöpft in die Kojen fielen und sofort einschliefen.

5 Kommentare

  • Wahnsinn mit welchen Widrigkeiten ihr zu kämpfen habt. Toll was Ihr leistet. Alles gute und Liebe Grüße, die escape Crew

  • Stefan Brandes

    Sehr coole Aktion. Das Vorschaubild ist allerdings seltsam, zumal es im Artikel gar nicht zu sehen ist – ein Autofahrer mit ner spanischen Fahne mit nem grässlichen Symbol im Cockpit, das Ihr sicher nicht zeigen wollt.

    Alles Gute für die weitere Reise!

    Viele Grüße aus Schöneiche
    Pan
    Stefan Brandes

    • statyx

      Lieber Pan,
      vielen Dank für Deinen Kommentar.
      die Fahne hat allerdings nichts mit dem Hakenkreuz der Nazis zu tun: https://de.wikipedia.org/wiki/Guna_Yala
      Und welches Bild in der Vorschau (bei Xing?) erscheint kann man leider nicht beeinflussen. Im Artikel taucht das Bild allerdings schon auf. Vielleicht dauert das Laden bei Dir nur etwas länger. LG Michael

      • Danke euch für den spannenden Bericht und eure Ausdauer .
        Als ich vor über 30 Jahre in Indien war hatte ich mich auch über das H.kreuz an einigen Häusern gewundert , aber es ist ja Seitenverkehrt und in Indien ein Glückssymbol , so wurde mir gesagt .
        Es tut gut von Menschen wie euch zu lesen bei der großen Not in vielen Ländern auf unserer Erde .
        Renate

  • Lieber Michael,
    vielen Dank für den spannenden Bericht. Selten kann man so hautnah miterleben mit welchen Schwierigkeiten eine Hilfsaktion verbunden sein kann. Kompliment, wie gut es gelungen ist mit vertretbaren Blessuren euer Ziel zu erreichen. Mutig, dass ihr in diesen -für seine brutale Drogenmafia bekannten- Teil der Karibikküste ein wenig Menschlichkeit gebracht habt. Gut, dass du die Frage zur Fahne erklärt hast, denn es war ein wenig befremdlich, dass im Text dazu kein Kommentar war.
    Bleibt gesund, gute Fahrt!
    Dietrich

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