Wahlmanipulation in Kolumbien

Während der Spendenaktion kamen wir beim Verteilen von Lebensmitteln natürlich mit vielen Menschen auch ins Gespräch über Politik. Und wir tauschten darüber aus, wie in unseren jeweiligen Heimatländern mit der Pandemie umgegangen wurde. Besonders ist mir in Erinnerung geblieben, wie sehr man überrascht war, als ich davon berichtete, dass in Deutschland immer mehr Menschen glauben, in einer Schein-Demokratie zu leben (laut einer Allensbach-Umfrage 31%) und meinen, das System in Deutschland gehöre „grundlegend geändert“ (28%).

Angesichts hiesiger Zustände mutet dies in der Tat grotesk an. So berichtet etwa ein Taxiunternehmer, wie ihn ein Kandidat für die Wahl zum Gouverneur im hiesigen Departement Magdalena 2019 um seine „Unterstützung“ gebeten hat. Felipe (Name geändert) sollte alle seine Taxis mit dem Werbebanner des Kandidaten versehen – natürlich kostenlos. Zum Dank würde er dann im Falle des Wahlsieges Fahrten von der Regionalregierung vermittelt bekommen. Der Gouverneur wäre in der Lage dafür zu sorgen, dass Taxifahrten, die vom Amt übernommen werden, von bestimmten Unternehmen ausgeführt werden. Nun war Felipe nicht unbedingt ein Fan von diesem Kandidaten, aber insgesamt dann doch zu unpolitisch, um hierin ein Problem zu sehen. „In meiner Familie leben acht Personen von meinem Einkommen, da konnte ich es mir nicht erlauben, auf solch ein Angebot zu verzichten“, beschrieb er seine Situation. Er bezahlte sogar selbst die Folien, mit denen er seine Taxis beklebte – alles in der Hoffnung, bald ordentlich Aufträge zu bekommen. Vielleicht war es ja dann sogar möglich, ein weiteres Taxi anzuschaffen. Als er die Wahlwerbung dann auch auf anderen Taxis sah, wurde er misstrauisch und befragte seine Kollegen dazu. Und tatsächlich: Der Gouverneur in spe hatte noch mindestens zwei weitere Taxibetriebe mit dem leeren Versprechen zukünftiger Aufträge gelockt. Frustriert riss er die Folien wieder ab, doch war er bis dahin bereits 3 Wochen kostenlos Werbung gefahren. Gelegentlich sah er bis zur Wahl noch weiterhin die Folie auf einem der anderen Taxis, die Rechnung für den Kandidaten schien also trotzdem aufzugehen. Am Ende hatte es dann aber doch nicht gereicht, einer seiner Konkurrenten gewann. Ich war fassungslos und fragte ihn, warum er angesichts solch eines Betrugs noch relativ ruhig sei. Er meinte nur, dass dies normal in Kolumbien sei und schließlich wäre er ja selbst schuld, da er sich darauf eingelassen hat.

Auf nationaler Ebene ist das Bild noch dramatischer. Zwei Jahre bevor wir in Santa Marta landeten, gab es bei den Präsidentschaftswahlen einen riesigen Aufreger: Die Stimmen, die Duque 2018 zum Präsidenten machten, sollen größtenteils gekauft worden sein. Organisert von einem Rinderzüchter und Drogenboss, in Auftrag gegeben vom ehemaligen Präsident Uribe (2002-2010), Förderer und Unterstützer Duques. So viel wusste ich aus der Presse. Wenn Manipulation in solch einem großen Maßsstab stattfand, durfte es nicht besonders schwer sein, an Augenzeugenberichte zu kommen. Lange musste ich nicht suchen. Sofia war bereit, mir zu berichten, wie es in ihrem Unternehmen um die Wahl herum gelaufen ist. Ihr Chef bestellte eines Tages alle circa 20 Angestellten zu einer Versammlung nach Feierabend. Dort erklärte er ausgiebig, warum ein zukünftiger Präsident Duque gut für die kolumbianische Wirtschaft im Allgemeinen und für seine Firma im Speziellen sei. Was für die Firma gut sei, wäre natürlich auch für die Belegschaft gut und somit wäre es in jedermanns Interesse, wenn der Gewinner am Wahltag Duque heißen würde. Mitarbeiter, die dies anders sehen, hätten offensichtlich nicht das Wohl des Unternehmens im Sinn und er würde sich diesen Kollegen in Zukunft gegenüber nicht weiter verpflichtet sehen. Allein eine solche Ansage wäre schon ein ziemlicher Skandal, aber Sofias Chef wurde noch deutlicher. Er erwartet von jedem einzelnen, dass er in der Wahlkabine sein Kreuz an der richtigen Stelle macht und – confiar es bueno, controlar es mejor –  dies durch ein Foto des Stimmzettels belegt. In Kolumbien ernährt ein Familienmitglied durch sein Einkommen oder seine Rente meist viele andere aus der Familie mit. Die perfide Strategie, die vermutlich von Vertrauten des Teams Uribe/Duque erdacht wurde, sah deshalb vor, dass auch von diesen abhängigen Familienmitgliedern den Firmenchefs Fotos aus der Wahlkabine gezeigt werden sollten. Im Falle einer schlechten Quote oder Totalverweigerung drohte er unverhohlen mit der Kündigung. Sofie hatte eine Position im Unternehmen, auf der sie schwer zu ersetzen war – sie konnte es sich leisten, dieser Forderung nicht nachzukommen. Die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen tauchten am Tag nach der Wahl folgsam im Büro des Chefs auf, um mit Smartphone-Fotos ihre „richtige“ Wahlentscheidung zu belegen. Und aus ihrem Bekanntenkreis wusste Sofia zu berichten, dass dies bei vielen größeren Firmen so oder so ähnlich abgelaufen ist. Der rechtskonservative Duque konnte sich dank seines Mentors Uribe bei der Wahl mit 54,76% knapp gegen den linken Rivalen Petro durchsetzen. Schwer zu glauben, dass der Stimmenkauf hierbei nicht eine entscheidende Rolle gespielt hat. Man muss also nicht, Oppositionelle wegsperren, Stimmzettel fälschen oder Wahllokale in die Luft jagen, um das gewünschte Ergebnis herbei zu manipulieren. Es geht auch unauffälliger und für Außenstehende schwieriger zu erkennen. Schwer auszuhalten, dass bei uns zu Hause Leute auf die Straße rennen und etwas von Schein-Demokratie und Corona-Diktatur faseln.

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.