Großer Tag für’s „Rainbow Reef“

Korallenriffe sind für uns immer etwas Besonderes. Bei der Navigation sind sie jedes Mal eine gewisse Herausforderung, beim Tauchen und Schnorcheln sind es Traumwelten, bei denen man sich nicht satt sehen kann. Vor Vanua Levu, der zweitgrößten Insel Fijis, liegt das Rainbow Reef mit 15 fantastischen Tauchplätzen. Manche davon, wie die „White Wall“, zählen sogar zu den besten weltweit.

Korallen führen einem aber auch immer wieder das Ausmaß der menschengemachten Veränderungen vor Augen. Von Klimawandel, Plastikmüll und Tourismus bis hin zu Überfischung und Schadstoffeinträgen – Korallenriffe reagieren äußerst sensibel auf äußere Einflüsse, und bereits jetzt sind weltweit circa 30 % aller Riffe zerstört, sowie weitere 40 % in einem kritischen Zustand. Umso erfreulicher ist es, dass wir unterwegs auch immer wieder auf Projekte stoßen, die sich die Erhaltung der Riffe zum Ziel gemacht haben. Am Rainbow Reef setzt sich Marina, die Betreiberin des dortigen Tauchcenters, gemeinsam mit ihrem Geschäftspartner Jone seit Jahren für den Schutz des sensiblen Ökosystems ein. Unter anderem organisieren sie die Aufzucht und Ansiedlung von Korallen an abgestorbenen Riffen. Wir haben uns diesen “Coral Garden” natürlich auch aus der Nähe angesehen und konnten sogar selber, mit Bürste und Schnellzement bewaffnet, einige Korallen “anpflanzen”.

Als ich das erste Mal mit Marina über ihr Projekt sprach, stand zufällig am nächsten Tag ein großer Termin für die beiden Korallenschützer auf dem Plan. Sie durften vor den Chiefs der Regionen ihr Projekt vorstellen und den Antrag stellen, das gesamte Riff unter Naturschutz zu stellen. Ich fragte spontan, ob ich ebenfalls an dieser Versammlung teilnehmen durfte und sie versprach, dies mit dem Vorsitzenden der Runde klären. Normalerweise sind Gäste bei dieser Art von traditionellen Versammlungen nicht vorgesehen. Sie wollte dem Anführer der Chiefs deshalb berichten, dass sich ein ehemaliger Abgeordneter aus Deutschland über das politische System in Fiji informieren möchte und sich als langjähriger Vorsitzender des Umweltausschusses natürlich besonders auch für dieses Naturschutzprojekt interessiert. Die Antwort sollten wir erst ein paar Stunden vor der Abfahrt bekommen, ich war gespannt.

Fiji ist seit 2014 eine parlamentarische Demokratie und unterhalb der Landesebene in 4 Divisionen und 14 Provinzen unterteilt. Die nächsten Ebenen sind dann Distrikte, Subdistrikte und Dörfer. Das Rainbow Reef gehört zu der Provinz Cakaudrove in der Northern Devision und befindet sich am Südostzipfel von Vanua Levu, der zweitgrößten Insel Fijis. Das Gebiet umfasst Regionen von 15 Chiefs, und so würde es wohl eine größere Versammlung werden. In dieser Größenordnung trifft man sich nur 3-4 Mal jährlich. Die Bucht hinter dem Riff hat keinerlei Straßenanbindung an den Rest der Insel. Für die ca. 200 dort lebenden Menschen führt der schnellste Weg nach Savusavu oder Lambasa (die zwei größeren Städte ihrer Insel) recht umständlich zunächst per Boot auf die Nachbarinsel Taveuni und von dort dann mit der Fähre zurück nach Vanua Levu. Das Ganze ist so kompliziert und wetterabhängig, dass man diese Reise nur selten auf sich nimmt. Auch zum Einkaufen geht es höchstens einmal die Woche nach Tavenui. Seit die Benzinpreise sich verdoppelt haben, fahren sie sogar noch seltener.

Trotz dieser Abgeschiedenheit unterliegt das Rainbow Reef einem gewissen Nutzungsstress. Zum einen durch die Tauchboote der etwas weiter weg gelegenen Ressorts, zum anderen durch die lokalen Fischer. Letztere standen der Idee eines Schutzgebietes zunächst skeptisch gegenüber. Nachdem es jedoch am Hausriff der Tauchschule einen kleinen, aber sehr erfolgreichen Testlauf gegeben hatte, konnten Marina und Jone, mehr und mehr Menschen von ihrem Einsatz überzeugen. Es waren in den benachbarten Gebieten bereits nach kurzer Zeit mehr sowie größere Fische in den Netzen. Mit diesen Ergebnissen hofften die beiden, die Chiefs auch von der Unterschutzstellung des gesamten Riffs zu überzeugen.

In Fiji stehen gerade die nächsten Wahlen vor der Tür, und die Bevölkerung wird aufgerufen, sich in Wählerverzeichnisse einzutragen. Aktuell regiert die Partei ‚Fiji First‘, die sich in erster Linie dafür einsetzt, dass die Menschen sich trotz ihrer verschiedenen Ethnien zuerst als Fijianer fühlen (also nicht verwechseln mit “America First“). Die größte Oppositionspartei, Social Democratic Liberal Party (SODELPA) hingegen versucht vor allem, sich für die Rechte der Ureinwohner einzusetzen, deren Einfluss sie unterrepräsentiert sieht. Während sich die Indisch-stämmigen vorwiegend auf die Städte konzentrieren (sie sind es auch, die vorwiegend Geschäfte und Restaurants betreiben und sich als Motor der Wirtschaft sehen), besteht auf dem Land die Mehrheit aus Ureinwohnerinnen und Ureinwohnern. Dort haben die Chiefs der Dörfer das Sagen. Der Chief-Posten wird in der Regel vererbt und ist vorwiegend in männlicher Hand.

Am nächsten Tag kam die erfreuliche Nachricht, dass man mir gestatten würde, an der Versammlung teilzunehmen. Allerdings mit strenger Kleiderordnung. Gut, dass wir bereits kurz nach unserer Ankunft in Fiji einen Sulu besorgt hatten. Den Wickelrock benötigt man bei traditionellen Anlässen, wie beispielsweise beim „Sevusevu“. Diese eigentümliche Willkommenszeremonie hatten wir in Fiji schon öfter praktiziert. Man stellt sich nach der Ankunft in einer Bucht beim Chief des nächstliegenden Dorfes vor und bittet um die Erlaubnis, das Gebiet betreten zu dürfen. Als Gastgeschenk übergibt man dabei ein Bündel Kava-Wurzeln. Die Pflanzenteile (auch als Yagona bekannt) werden zu rituellen und festlichen Anlässen wie auch im Alltag konsumiert und haben eine beruhigende, entspannende Wirkung. Je nach Region wird entweder direkt auf den Wurzeln herumgekaut oder zunächst ein Pulver hergestellt und dieses dann in Wasser aufgelöst. Für uns gewöhnungsbedürftig, trinken dabei alle aus einer Schale, und auch der erdige Geschmack der dunklen Brühe konnte uns nicht wirklich überzeugen. Außer einem leichten Taubheitsgefühl auf Lippen und Zunge haben wir zudem nicht viel gespürt.

Ob nun mit anschließender Kava-Zeremonie oder ohne, das “Sevusevu” ist Pflicht, genau wie der Sulu. Ich zog also meinen Rock an und stieg in Marinas Boot, das mich von Daphne abholte. Auf der 20-minütigen Überfahrt hatten wir glücklicherweise wenig Wind und Welle. Ansonsten kann es auf dieser Passage wegen Strömungen und Düseneffekten sehr ungemütlich werden. Vom Boot ging es per Taxi zum Gemeindehaus, was interessanterweise mit EU-Mitteln kofinanziert wurde. Vor der Sitzung vollzogen wir das obligatorische Sevusevu und wurden anschließend vom Vorsitzenden der Chiefs Naiqama Tawake Lalabalavu begrüßt.

Ich erfuhr, dass er neben seiner regionalen Funktion auch auf nationaler Ebene ein bedeutender Politiker ist. In der vorherigen Regierung war er Minister und ist aktuell der Oppositionsführer. Erstaunlicherweise sprach Lalabalavu sogar einige Worte Deutsch und sagte mir, dass er „den Klang unserer Sprache sehr schön findet“, was mich noch mehr erstaunte. Man hört unterwegs sonst eher das Gegenteil. Nach etwas Smalltalk lud er uns ein, gemeinsam mit den anderen Chiefs den Lunch einzunehmen. Die Frauen des Ortes hatten zwischenzeitlich kräftig aufgetischt, und man stärkte sich für die bevorstehende Versammlung.

Dann war es schließlich so weit: Nachdem einige andere kürzere Tagesordnungspunkte wie beispielsweise der Finanzplan abgearbeitet waren, durften Marina und Jone ihr Projekt vorstellen. Lalabalavu thronte in einem bequemen Sessel, alle anderen saßen im Schneidersitz auf dem Boden. Wurde jemanden das Wort erteilt, erhob er sich in eine kniende Position. Auch die Frau, die dem Vorsitzenden zwischendurch ein Glas Wasser brachte, rutschte dazu auf Knien durch den Saal.

Abgesehen von dieser „Sitzordnung“ erinnerte mich vieles an unsere heimatlichen Ausschusssitzungen. Diverse Fragen, gefolgt von mal längeren, mal kürzeren Antworten. Und wie bei uns gab es solche, die sich gerne reden hören, sowie andere, die es schafften sich kurzzufassen. Nachdem die Projektbeschreibung vorgetragen wurde und alle Fragen geklärt waren, kam es zur Abstimmung. Lalabalavu fragte kurz, ob es Einwände gäbe, niemand meldete sich, die Sache war entschieden. Marina und Jone hüpften innerlich vor Freude. Für das Rainbow Reef war dies ein großer Tag, und den beiden gebührt großer Dank für ihren jahrelangen Einsatz, der am Ende mit dieser Entscheidung belohnt wurde.

Während wir uns langsam auf den Rückweg machten, bereiteten sich die Chiefs auf die Kava-Zeremonie vor, die traditionell immer am Ende ihrer Versammlung stattfindet. Dazu formierten sie sich zunächst in einer Reihe kniend, um dann nacheinander in Richtung Lalabalavu zu rutschen und ihm die Ehre zu erweisen. Anschließend begaben sie sich im Halbkreis vor eine riesige Kava-Schüssel, um mit dem rituellen Trinken das Treffen abzuschließen. Ich bin jetzt natürlich gespannt, wie es weitergeht. Da Marina regelmäßig in Social Media über das Projekt berichtet, freue ich mich darauf, die weitere Entwicklung am Rainbow Reef weiterzuverfolgen. Darüber hinaus bin ich Marina und Ratu Naiqama Tawake Lalabalavu außerordentlich dankbar, solch einen authentischen Einblick in die Tradition dort bekommen zu haben.

 

 

 

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