Tourismus mit Respekt – Ein Interview

Bei unserem Besuch in San Blas hat uns neben der traumhaften Landschaft besonders gut gefallen, dass die Kuna den dortigen Tourismus sehr nachhaltig entwickelt haben. Nach meinem Artikel  über diverse Probleme, die Tourismus mit sich bringen kann, wollte ich natürlich erfahren, wie die Kuna dies hinbekommen haben. Bei unserer letzten Spendenaktion hatte ich Victor kennengelernt, der uns viel über die Region erzählen konnte und für ein Interview zu diesem Thema bereit war.  Ich habe es auf englisch geführt und dann später übersetzt.

Herzlichen Dank Victor, dass Du für dieses Interview zur Verfügung stehst. Erzähle uns doch bitte zunächst ein wenig über Dich und Deine Familie.

Mein Name ist Victor Perez, ich bin 29 Jahre alt und komme aus Kuna Yala. Seit meinem 11. Lebensjahr wohne ich in Panama City aber der Großteil meiner Familie lebt immer noch in der Gemeinde Wichub Wala im San Blas Archipel. Wegen meiner Ausbildung beschlossen meine Eltern, mich als Kind in die Stadt zu schicken und ich blieb drei Jahre lang bei Freunden von ihnen. Ich konnte damals weder Spanisch noch Englisch, nur meine Kuna-Sprache. Nach der Schule habe ich dann Tourismusmanagement studiert und bin außerdem als Englischlehrer tätig. Natürlich war es eine große Herausforderung, als Kind nicht in der Nähe meiner Eltern zu sein. Ich bin dem Leben aber dankbar für die Möglichkeit, mich auf diese Weise auf die Zukunft vorzubereiten. Besonders in Zeiten wie diesen, wo ich sehe, dass ich viel für meine Gemeinde in San Blas und auch in Panama City tun kann.

Mein Vater wurde vor 10 Jahren zum Oberhaupt von Wichub Wala gewählt. Er hat einen starken Charakter, viel Wissen und er kann gut Dinge für unsere Gemeinde regeln. Er und die anderen Dorfvorsteher sind die einzigen, die Entscheidungen treffen. Es ist ihre Verantwortung, weise zu handeln und ein Beispiel für die nächste Generation zu sein. Außerdem entscheidet er, wer auf die Insel kommt und wer für die einzelnen Arbeiten wie Landwirtschaft, Fischerei und allgemeine Arbeiten verantwortlich ist.

Wie versorgen sich die Menschen hier auf der Insel?
Alle teilen sich die Mahlzeiten. Wenn ein Anführer einer Gemeinschaft Land besitzt, stellt er das zur Verfügung, was er hat, z.B. Kochbananen, Yucca, Kartoffeln, anderes Gemüse und Obst. Manchmal geht die ganze Gemeinschaft fischen und bringt alle Arten von Meeresfrüchten mit und teilt sie mit allen. Das ist unsere Tradition und in der heutigen Zeit machen wir das immer noch so. Einige Leute arbeiten auch auf ihren Ländereien, aber dann ebenfalls nach Richtlinien der Dorfvorsteher.

Und wie schaffen es die Kuna, die Natur zu nutzen, ohne sie zu überfordern?
Wir finden immer ein Gleichgewicht im Leben. Kuna bedeutet “Menschen” und wir erkennen, dass wir zur Natur, zur Erde gehören. Wir wissen, dass wir eines Tages wieder zu Erde werden und unsere Körper sind die Natur und die Nahrung für unsere nächsten Generationen. Wir sind seit Jahrhunderten auf der Insel und natürlich haben sich die Traditionen verändert, aber unser Glaube ist der gleiche, wenn wir über die Natur sprechen. Leider sind aber auch einige Kuna nicht so dankbar und bauen beispielsweise Korallenriffe ab, um sie für den Ausbau ihres Landes zu verwenden.

Was sind die Einnahmequellen, um Geld für Dinge zu verdienen, mit denen sie sich nicht selbst versorgen können?
Die Hauptquellen sind die Landwirtschaft und der Fischfang. Manche verkaufen sogar Hummer und andere Meeresfrüchte an Restaurants in Panama City. In einigen Gemeinden arbeiten Kuna in kleinen Mini-Märkten wo es Waren gibt, die man bei uns nicht anbauen kann.

Und welche Rolle spielt der Tourismus dabei?
Der Tourismus begann Ende 1960, als die ersten Kreuzfahrtschiffe die Gemeinden besuchten. Seitdem hat sich vieles verändert. Die Kuna sahen eine weitere Möglichkeit, Einkommen zu erzielen und begannen, ihre Molas und andere Kunsthandwerke zu verkaufen. Einige fingen an, traditionelle Häuser zu bauen, um Besucher zu beherbergen. Andere tauschten ihre Kunst gegen Essen oder Dinge, die sie vorher nicht kannten. Der „Congreso General Kuna“ (Regionalregierung) musste handeln und Entscheidungen treffen. Zum Beispiel, dass Kreuzfahrtschiffe nicht mehr nach San Blas kommen durften, weil sie unsere Kultur und Traditionen beeinträchtigen würden.

Tatsächlich ist der Tourismus heute eines der Haupteinkommen und spielt eine große Rolle für alle Kuna. Ein Kuna, der beipielsweise ein Auto besitzt, sorgt für den Transport, jemand, der ein Boot besitzt, macht Ausflugstouren, Kuna mit einem kleinem Geschäft, profitieren von den Besuchern und so weiter.

Was ist das Besondere am Tourismus in Kuna Yala?
Wir Kuna freuen uns, wenn die Urlauber sich hier über unsere Kultur und Traditionen informieren. Aber Reisende oder Besucher müssen die Art und Weise, wie die Dinge in Kuna Yala funktionieren, respektieren. Der Tourismus gibt einigen Familien die Möglichkeit, sich zu erneuern und Erfahrungen zu teilen. Auch ich arbeite so und schaffe neue Erfahrungen, von denen viele Familien in meiner Gemeinde profitieren. Ich möchte kein Ressort oder andere Luxusherbergen hier haben, sondern lieber das Echte meiner Gemeinde zeigen und lokale Familien unterstützen, indem ich authentische Erfahrungen anbiete und unsere Kultur respektiere und unsere Tradition bewahre.

Wie wird verhindert, dass zu viele Menschen hierher kommen und die Region verändern?
Einige Kuna mit vermeintlich moderneren Ideen glauben, dass es an der Zeit ist, die Art und Weise, wie wir Dinge tun, zu ändern. Dahinter stehen auch viele Interessen von Politikern und Geschäftsleuten, die nicht Kuna sind. Aber es gibt Regeln, die diese Leute respektieren müssen, Kuna sind die einzigen, die auf den Inseln Geschäfte machen dürfen. Es gibt aber trotzdem beispielsweise einige Katamaran- oder Segelbootbesitzer, die Ausflüge anbieten. Sie respektieren nicht die Regeln, denn es ist nicht erlaubt. Trotzdem machen sie, was sie wollen, nur um ihren Kunden zu gefallen. Der Congreso ergreift dann Maßnahmen gegen sie. Doch sogar in dieser Pandemie jetzt respektieren manche das nicht und bringen immer noch Leute nach San Blas. Wir brauchen Tourismus. Ja, aber einen Tourismus mit einem Sinn. Tourismus mit Respekt. Tourismus mit Empathie und Harmonie. Ich möchte ein Vorbild für mein Volk sein und besonders für die nächste Generation.

Wer legt denn die Regeln fest und wie wichtig ist die Autonomie?
Der Congreso verwaltet unser ganzes Land und sie sind diejenigen, die für alles verantwortlich sind. Wenn man hier einreisen möchte, kommt zunächst der Congreso, um alles zu kontrollieren und sie entscheiden dann, ob man bleiben darf oder nicht. Ich denke, die Autonomie ist sehr wichtig, denn wenn wir sie nicht hätten, würde viel von unserer Natur durch die Zivilisation zerstört werden. Zum Beispiel würden Bäume verbrannt werden, wie in vielen anderen Ländern, in denen Indigene leben. Wir stehen für unsere Autonomie und kämpfen dafür. Schon 1925 kämpften die Kuna gegen die panamaischen Gesetze weil diese nicht unsere Traditionen und Bräuche respektierten sondern sie beseitigen wollten. Aber unsere Vorfahren haben gewonnen und Dank dessen haben wir heute noch die Autonomie unseres Landes. Ohne diese, da bin ich mir sicher, wäre alles ganz anders.

Wie würde es ohne Autonomie hier aussehen?

Alles wäre völlig anders. Ich würde meine Kuna-Sprache nicht sprechen, ich wäre verloren und hätte keine Wurzeln. Ich würde in einem Land leben, in dem ich mich fremd fühlen würde. Aber jetzt kenne ich meine Wurzeln, meine Geschichte, mein Volk, meinen Hintergrund und meine Zukunft. Wenn wir unsere eigene Geschichte nicht kennen, dann wissen wir gar nichts. Wir wären wie ein Blatt, das nicht weiß, dass es Teil eines Baumes ist.

Und beim Tourismus?

1970, als der Tourismus begann, wollten viele Leute Geld investieren, um Ressorts zu bauen, und Nicht-Kuna wollten Inseln als Privatbesitz nehmen, aber der Congreso hat gehandelt und dies verhindert. Natürlich gibt es auch Dinge, die wir für die Zukunft besser entwickeln müssen, und das sind Bildung und Kultur. Ich weiß, dass sich die Dinge ändern, aber wir müssen ein Gleichgewicht finden und versuchen, uns mit Verantwortung zu entwickeln und es mit den Menschen vor Ort tun.

Wie siehst Du die Zukunft von Kuna Yala und wie kann garantiert werden, dass es bei einem nachhaltigen Tourismus bleibt?

Vor allem mit Teamarbeit durch Bildung, basierend auf unserer Kultur, basierend auf unserer Ideologie, basierend auf Respekt und Empathie. Lernt den Wert unseres Landes kennen und erkennt das Potential unserer Kinder und der Natur. Stellt Euch vor, dass nicht nur ich, sondern Hundert Victors denken, dass all dies möglich ist und danach handeln. Und wenn ich gerade dieses Interview gebe, dann auch, weil ich glaube, dass man die nächste Generation zur Besserung unserer Gemeinschaft motivieren kann. Aber auch um andere Gemeinschaften zu inspirieren, das Gleiche zu tun.

Was wünschst Du Dir von den Menschen, die ihren Urlaub in Kuna Yala verbringen und welchen Rat hast Du für andere Regionen, die unter Massentourismus leiden?

Die Reisenden müssen verantwortungsvoll sein und unsere Regeln, Traditionen und Bräuche respektieren. Sie sollten aufgeschlossen sein und mehr Respekt vor unserem Land haben. Helft den Gemeinden, eine bessere Ausbildung und kulturelle Wege zu entwickeln und vor allem: Zeigt Respekt!

Auch andere Regionen können Regeln aufstellen, die ihrer Gemeinde und den Veränderungen, die sie machen wollen, zugute kommen. Tun Sie es einfach für Ihre Leute und haben Sie mehr Kontrolle über den Massentourismus. Schulen Sie die Leute, die im Tourismus arbeiten, um bessere Dienstleistungen zu erbringen und verlangen Sie von den Hotels oder Agenturen, dass sie sich an die Regeln der Region halten. Verlangen Sie Strafgebühren von diejenigen, die sich nicht daran halten, und nutzen Sie diese, um mehr Bildungsaktivitäten durchzuführen.

Im Gespräch mit Victor (re.) und einem der Dorfvorsteher

Was hat sich für die Menschen hier seit Corona verändert und bekommt Ihr genug Unterstützung von der Regierung?

Unser Blick auf das Land und unsere Kultur hat sich verändert. Besonders beim Thema Bildung und was benötigt wird, um unsere Traditionen zu erhalten. Wir brauchen aber auch mehr Einigkeit und mehr Möglichkeiten, auf unserem Land Obst und Gemüse anzubauen. Einige Gemeinden erhalten Hilfe, doch nicht alle. Es wird also auch private Hilfe benötigt, aber wir wollen nicht davon abhängig sein. Wir wollen unabhängig sein und versuchen, unsere eigenen Dinge zu machen.

Gibt es zum Abschluss noch etwas, das Du außer Deinen Antworten zu meinen Fragen gerne sagen möchtest?

Wenn Ihr San Blas oder Kuna Yala besucht, stellt bitte sicher, dass Ihr über eine Agentur bucht, die lokale Gemeinden und Unternehmen von Einheimischen unterstützt. Besucht Gemeinden, in denen Ihr etwas lernen könnt und zeigt Respekt. Aber am wichtigsten ist, dass Ihr aufgeschlossen seid und Menschen trefft, die in ihren Gemeinden etwas verändern wollen. Unterstützt sie und Ihr werdet eine großartige Sache unterstützen. Wenn Ihr ins Ausland reist, geht mit Einheimischen fischen, esst mit ihnen und lernt die Arbeit kennen, die sie tun. Herzlichen Dank dafür!

Lieber Victor, ich danke Dir ganz herzlich für diese interessanten Einblicke in Eure Lebensweise und wünsche Dir und Deiner Familie auch für die Zukunft alles Gute!

Wer Victor mit seinen Projekten unterstützen möchte, findet hier alle nötigen Informationen:

gofundme: www.gofundme.com/f/Panama-covid19-vulnerable-communities-relief-fund

facebook: https://web.facebook.com/localinpty?_rdc=1&_rdr

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