Reisen nach überall – Fluch oder Segen?

Einer der Gründe per Segelboot die Welt zu bereisen, war für mich die Möglichkeit, die jeweiligen Länder auch jenseits der üblichen Reiserouten kennenzulernen. Wir haben unterwegs gelegentlich aber ebenso die Touristen-Hotspots besucht. Ob nun Kopenhagen, Amsterdam oder Lissabon – da segelt man natürlich nicht vorbei, ohne sich die Sehenswürdigkeiten anzuschauen. Daher stießen wir auch immer wieder auf das Problem Massentourismus und wurden, da wir ja dort waren, so gesehen selbst ein Teil davon.

So sehenswert diese Städte auch sein mögen, die Ausrichtung auf große Touristenmengen hinterlässt ihre Spuren. In den Innenstädten oftmals das gleiche Bild: Amerikanische Fastfood-Restaurants, T-Shirt- und andere Souvenir-Geschäfte, Boutiquen mit Luxusmarken und jede Menge roter Hop-on-hop-off-Busse. Traditionelles Handwerk wird ebenso verdrängt wie angestammte Wohnungsmieter. Stattdessen neben Hotels und Pensionen jede Menge Hostels oder Airbnb-Appartements. Die Gewinne kommen nur wenigen zugute, den anderen bleiben steigende Mieten sowie das Gefühl, Statisten in Disney World zu sein. „Die Tugend der Gastfreundschaft, die man beschwören will, wird vernichtet, indem man sie in Anspruch nimmt“, schrieb Hans Magnus Enzensberger schon 1958.

Amsterdam

Sobald beispielsweise ein Reisemagazin über einen authentischen Marktplatz berichtet, auf dem sich die Einheimischen versorgen, strömen auch die Urlauber dorthin. Mehr und mehr Produkte für Touristen werden angeboten und schließlich wird aus dem Geheimtipp ein Touri-Markt. Dank entsprechender Print- oder Online-Reiseführer ist der Ansturm auf diese vermeintlichen Geheimtipps inzwischen ebenso groß wie auf die klassischen Hotspots. Der Spiegel titelte 2018 sehr treffend: „Wie Reisende zerstören, was sie lieben“. Denn die individuelle Note der Städte, der regionale Charme und Charakter bleiben bei solchen Entwicklungen oft auf der Strecke. Ob man sich gerade in Stockholm oder in Barcelona befindet, ist beim Blick aus dem trendigen Straßencafé nicht immer auf Anhieb wahrzunehmen. Städte wie Dubrovnik oder Amsterdam, erkennen bereits die Gefahr, die darin liegt und versuchen die Besuchszahlen mit Auflagen und Gesetzen zu begrenzen. Aber natürlich stoßen solche Maßnahmen sowohl bei Touristen wie auch bei den Unternehmen nicht gerade auf große Zustimmung. Die einen sehen ihre Reisefreiheit eingeschränkt, die anderen befürchten Umsatzeinbußen.

Eine besondere Belastung für die betroffenen Orte geht von den großen Kreuzfahrtschiffen mit bis zu 5.000 Passagieren aus. 28,5 Millionen Urlauber waren 2018 weltweit auf Kreuzfahrt. Sie bleiben meist nur einen Tag vor Ort und bringen der Region so gut wie keine Wertschöpfung. Dafür schieben sich aber innerhalb kürzester Zeit Tausende von Menschen an den Sehenswürdigkeiten vorbei. Wieder steht ein Ort mehr aus dem Bestseller „1.000 places to see before you die“ auf der Trophäen-Liste. Das Abendessen wird wieder an Bord genossen und über Nacht schippert man bequem zum nächsten Highlight der Reise

Kreuzfahrt-Touristen in Willemstad (Curaçao)

Ende 2018 waren 317 Kreuzfahrtschiffe mit einer Gesamtkapazität von 537.000 Passagieren unterwegs. Man könnte auf ihnen also bequem die Bevölkerung Hannovers unterbringen. Und kurz vor dem Einbruch der Branche durch COVID-19 waren zusätzliche 124 Kreuzfahrtschiffe in Bau oder Planung. Vor Ort sieht es dann so aus, dass beispielsweise Dubrovnik im Jahr 2018 über 400 Mal von Kreuzfahrtschiffen angelaufen wurde. Mit ihnen kamen 800.000 Passagiere. Sie gaben im Schnitt 24 Euro aus (zum Vergleich: andere Gäste pro Tag 160 Euro). Insgesamt kommen Jahr für Jahr 3 Millionen Touristen in die mittelalterliche Altstadt, bei nur 42.000 Einwohner:innen. Da nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die historische Bausubstanz leidet, droht die UNESCO der Stadt sogar, den Status als Weltkulturerbe zu entziehen, sollten die Besucherzahlen nicht reduziert werden.

In Venedig war es zuletzt noch schlimmer. Bis zu zehn Schiffe können im Kreuzfahrthafen, der praktischerweise im Besitz der großen Kreuzfahrtgesellschaften ist, gleichzeitig festmachen. Und wer die Bilder von solchen Riesenschiffen mit 15 Decks und mehr in direkter Nachbarschaft der einheimischen Bevölkerung sieht, kann verstehen warum diese sie oftmals als Bedrohung wahrnimmt. Die Karibik bildet davon natürlich auch keine Ausnahme. Auf fast jeder Insel vor der wir ankerten, ein ähnliches Bild.

In den letzten Jahren kam zu dem üblichen „must see“ der Reiselustigen noch eine weitere Kategorie hinzu. Drehorte erfolgreicher Filme locken inzwischen genauso wie Mona Lisa oder Golden Gate Bridge. Die Buchhandlung aus Harry Potter in Porto ist inzwischen ein regelrechter Pilgerort. Als wir auf unserer Tour dort zufällig vorbei liefen, standen die Menschen davor Schlange und zahlten fünf Euro Eintritt – wohlgemerkt um ein eigentlich normales Geschäft zu betreten. Im Sommer sind es täglich über 5.000. 2017 wurden insgesamt 1,2 Millionen gezählt. Man kann sich denken, wie viele von der einheimischen ehemaligen Stammkundschaften dort noch vorbeischaut.

Aus den Harry Potter Filmen bekannt: Livraria Lello (Porto)

In Dubrovnik sind die Besucherzahlen ebenfalls erst explodiert seit die Altstadt „Game of Thrones“ als Kulisse diente, aber auch abgelegene Regionen kann es treffen. 2008 besuchte ein Filmteam den Bauern Angelvins in der Provence um einige Aufnahmen in seinen Lavendelfeldern zu machen. 2012 kamen dann die ersten Busse mit Reisenden aus Fernost. Sie wollten auf den Feldern die Szene aus einer beliebten chinesischen TV-Serie nachstellen, die vier Jahre zuvor auf Angelvins Feldern gedreht wurde. Inzwischen sind es pro Saison fast 60.000.

Der Tourismus ist weltweit zum größten Wirtschaftszweig angewachsen, das Volumen wird auf rund jährlich 7.000 Milliarden Euro geschätzt – fast zehn Prozent der Weltwirtschaftsleistung. Die Zahl der Reisenden stieg weltweit von 435 Millionen im Jahr 1990 auf 1.326 Millionen in 2017. 1959 waren es noch 25 Millionen. Ohne Billig-Airlines wäre diese Entwicklung nicht möglich gewesen. Vor der Liberalisierung des Luftverkehrs 1987 hatte in Europa fast jedes Land seine eigene Fluglinie. Um die jeweiligen Anbieter schützen, die sich hauptsächlich in Staatsbesitz befanden, waren Flüge in Nachbarländern verboten. Ein Markt ohne Wettbewerb mit entsprechenden Preisen. Fernreisen waren eher den Besserverdienenden vorbehalten. Heute beträgt der Marktanteil der Billig-Airlines in Europa über 30 Prozent, mit steigender Tendenz. Langstrecken wurden massentauglich. Inzwischen ist der Urlaub in Thailand unterm Strich oftmals günstiger als Ferien auf dem Bauernhof und das Wochenende nach Barcelona ist die Alternative zum Baggersee, mit der Folge dass die katalanische Metropole vom Geheimtipp zur Massendestination mutierte, der Marktanteil der Billiganbieter liegt dort bei fast 70 Prozent.

Die Schäden an der Umwelt tauchen in der Preiskalkulation nicht auf. Im Gegenteil: Anders als Autobenzin ist Kerosin fast steuerfrei, auf Auslandsflügen wird keine Mehrwertsteuer erhoben und so mancher Flughafen ist nur mit offenen oder verdeckten Subventionen wirtschaftlich. Summiert man alle diese Vorteile für die Flugbranche kommt man in Europa jährlich auf circa 40 Milliarden Euro. Bei der umweltfreundlicheren Bahn träumt man von solchen Rahmenbedingungen. Auch deswegen ist ein Zugticket von Berlin nach Paris meist doppelt bis dreifach teurer als der entsprechende Flug. In Berlin-Schönefeld brachten es die Billigflieger zuletzt auf fast 90 Prozent der An- und Abflüge. Allein von 2008 bis 2018 hatte sich das Passagieraufkommen dort verdoppelt, von rund 6 auf über 12 Millionen Passagiere.

Aber nicht nur die Konkurrenz in der Luft macht der Bahn zu schaffen. Busse fahren ohne Maut durch die Lande und halten meist kostenlos irgendwo auf öffentlichen Straßen, während auf der Schiene sowohl Trassen- wie auch Stationsgebühren anfallen, was immerhin die Hälfte der Kosten ausmacht. Berlin entwickelte sich Dank Flixbus und Billigflieger europaweit zum Lieblings-Übernachtungsziel hinter London und Paris. Hunderte Party-People ziehen vor allem an den Wochenenden durch die angesagten Bezirke. Sie bringen nicht viel Geld, aber jede Menge Lärm und Dreck in die Stadt.

Und während Ferienwohnungen und Hostels erheblichen Zuwachs verzeichnen, verschlechtert sich das Wohnungsangebot im Kiez dramatisch. Der Berliner Senat versuchte 2014 mit dem „Zweckentfremdungsverbot“ die Notbremse zu ziehen, mit mäßigem Erfolg. 2018 gab es in Berlin allein bei Airbnb 13.644 Inserate (davon über 3.200 in Friedrichshain-Kreuzberg), bei 90% fehlte die inzwischen vorgeschriebene Registrierungsnummer. Der Umsatz mit diesen Unterkünften verdoppelte sich von 2015 zu 2017. Im Sommer 2018 waren es bereits über 20 Millionen pro Monat.

Auf Galapagos, wo diese Zeilen gerade entstehen, schaut man nicht nur auf den Umsatz. Die Verantwortlichen wissen ziemlich genau, dass der Tourismus irgendwann aufhört nachhaltig zu sein. Mit den Einnahmen aus der Reisebranche können einerseits viele der örtlichen Naturschutzmaßnahmen finanziert werden. Aber je mehr Reisende auf die Inseln kommen, umso niedriger wird auch der Umsatz je Person. Es gilt, den Punkt zu erkennen, an denen der Tourismus mehr schadet als er nutzt.

Natürlich ist es vor allem an der Politik bestimmte Rahmenbedingungen zu setzen. Wie in vielen anderen Bereichen, haben es aber auch die Konsument:innen in der Hand, bei der Urlaubsplanung ökologische Aspekte zu berücksichtigen oder Unternehmen zu unterstützen, die auf umweltverträglichen Tourismus setzen.

Auch in der traumhaften Inselwelt von Kuna Yala haben die Menschen es geschafft, einen Massenandrang zu verhindern. Der San-Blas-Archipel liegt vor der Nordküste Panamas und umfasst ungefähr 350 Inseln von denen nur circa 40 bewohnt sind. Die dort lebenden Kunas haben sich eine umfangreiche Autonomie erkämpft, so ist es beispielsweise nicht möglich, in dieser Region Land zu erwerben. Das verhindert natürlich auch größere Tourismusprojekte. Übernachtungen sind nur in kleinen Privatunterkünften möglich und auch sonst werden ausschließlich Aktivitäten im Bereich „sanfter Tourismus“, wie Wandern, Kajakfahren und Schnorcheln angeboten. Noch nicht einmal Gerätetauchen ist erlaubt.

Für Segelyachten ideal: Keine lauten Party-Boote, keine Hotelanlagen und nachts bis auf ein bis zwei Energiesparlampen in der Ferne, die totale Finsternis mit entsprechendem Sternenhimmel. Die Kunas sind aufgeschlossen und freundlich. Sie verkaufen von ihren Kanus aus Fische, Obst und Gemüse sowie wunderbare Stickereien (die berühmten Molas sind eine wichtige Einnahmequelle). Manchmal bitten sie, ihre Smartphones an Bord aufladen zu dürfen. Strom ist auf den Inseln nur vereinzelt über Solaranlagen oder Generatoren verfügbar. Gelegentlich gibt es auch private Einladungen. Man bekommt hier eine ungefähre Vorstellung davon, wie das Reisen in entfernte Regionen zu früheren Zeiten gewesen ist. Über allem wacht die Regionalregierung, der Congreso. Dieser bestimmt, wer einreisen darf und kassiert je Boot und Person eine Gebühr von 20 $ je Monat für diese „cruising permit“. Eine vertretbare Summe für den Einlass ins Paradies.

Sicherlich kann Kuna Yala kein Modell für alle touristischen Ziele sein. Es ist aber schön, zu sehen, dass es auch anders geht. Denn obwohl die Kunas mit dieser Politik vermutlich auf erhebliche Einnahmen verzichten, hat man nicht das Gefühl, dass es ihnen an irgendetwas fehlt. Im Gegenteil.

Liegeplatz im Paradies

Interview mit Victor Perez aus Kuna Yala (folgt in Kürze)

Gastbeitrag aus der Politik (folgt in Kürze)

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