Wenn Dein Land im Meer verschwindet
Kurz nach dem in Santa Marta der Lockdown erlassen wurde, begannen wir damit, Spenden zu sammeln um davon dann Lebensmittel an Familien hier zu verteilen. Um sicher zu stellen, dass die Sachen auch tatsächlich bei den Bedürftigen ankamen, ließen wir uns von Leuten helfen, die uns persönlich bekannt waren und so führte uns eine unserer Touren auch nach Palomino zu Mara, die hier mit der Finca Escondida ein kleines gemütliches Hotel direkt am Strand betreibt.
Neben Covid-19 haben die Menschen hier noch ein weiteres großes Problem: Sie verlieren ihr Land. Während das Meer zuvor in immer wiederkehrenden Zyklen nur circa 10 Zentimeter jährlich näher rückte, waren es allein in den letzten 12 Monaten 8 Meter*. In ihrer Hilflosigkeit versuchen Mara und die anderen HotelbetreiberInnen die Strände mit Sandsäcken und Autoreifen zu befestigen. Doch weder künstlichen Maßnahmen noch die Wurzeln der vorhandenen Palmen halten die Küstenerosion auf.
Ein Stück weiter östlich sind in weiten Abständen, Haufen gigantische LKW- Reifen zu sehen, die einige Meter ins Meer reichen. Sie stammen vermutlich von den riesigen Kippladern der nahegelegenen Tagebaue und wurden ohne Genehmigung dort gestapelt um zu verhindern, dass der Sand durch Querströmung weggeschwemmt wird. Auf den ersten Blick sieht diese Maßnahme erfolgversprechend aus. Die betreffenden Strandabschnitte sind wesentlich besser enthalten als anderen.
Eine von vielen HotelbesitzerInnen gemeinsame finanzierte Studie soll nun die Wirkung dieser und weiterer möglicher Gegenmaßnahmen aufzeigen. Gelingt dies nicht, verschwindet unaufhaltsam einer der schönsten Strände Kolumbiens. Besonders bitter, da zuvor durch den wachsenden Tourismus nach und nach Drogen, Kriminalität und Paramilitärs zurückgedrängt wurden. Inzwischen leben sehr viele Menschen in der Region Palomino direkt oder indirekt von den TouristInnen. Begrenzt durch die wenig entwickelte Infrastruktur sowie die Kleinteiligkeit der Hotels und Pensionen ist der Tourismus bislang sehr umweltverträglich. Es wäre sehr schade, wenn er als Garant für den bescheidenen Wohlstand rund um Palomino nun wegfallen würde.
Natürlich hatte ich auch bei meinem Projektpartner, dem „Zentrum für Marine Tropenforschung“ angefragt, welche Empfehlungen man dort für die Region hier hat.
Prof. Dr. Hildegard Westphal, die Leiterin des ZMT berichtete mir als erste grobe Einschätzung:
„Offenbar hat man in dieser Region seit 50 Jahren versucht, die Küste mit dem Bau von Küstenschutzstrukturen zu stabilisieren. Das geht normalerweise immer schief, denn was passieren kann, ist: Wellen werden reflektiert und fördern die Erosion, das Gleichgewicht an Sediment wird gestört, d.h. der natürliche Abtransport von Sediment wird nicht durch Antransport ausgeglichen, etc. Damit werden dann auch in Bereichen, die nicht verbaut sind, Effekte provoziert. Der Meeresspiegel ist laut verschiedener Karten der Region nicht das große Problem, also muss es in der Sedimentdynamik liegen“. So ihre Vermutung.
Und ihre Handlungsempfehlung: „Genau beobachten, z.B. mit Drohnen über den Jahresgang (Jahreszeiten haben sehr unterschiedliche Sedimentmuster, auch in den Tropen), dann kann man identifizieren, wo die Störungen herkommen. Außerdem hilft immer, Mangroven anzubauen und Seegraswiesen zu fördern. Beides mögen Hoteliers nicht so gerne, weil der saubere Sandstrand das Ideal für Touristen ist, aber solche Sandstrände verschwinden eben gerne mal bei einem Sturm, und brauchen dann eine Weile, bis sie sich regeneriert haben. Gesunde Riffe sind auch wichtig, um die Wellen zu brechen. Unser Ansatz wäre immer, diese drei verschiedenen Ökosysteme gesund und produktiv zu halten. Aber das dauert und ist nicht immer realistisch.“
Ihr Kollege Prof. Dr. Martin Zimmer, der seit längerem an dem Konzept Ecosystem Design** arbeitet, beschrieb ähnliche Lösungsansätze:
„In Ihrem konkreten „Fall“ wäre die Lösung, im betroffenen Bereich solche Ökosysteme (Seegras, Mangroven usw.) anzusiedeln, die 1. dort gedeihen können und 2. die Küste vor Erosion schützen. Diese Ansiedlung muss natürlich gut durchdacht und geplant sein – immer noch sind viele Versuche der „Rehabilitierung“ erfolglos, weil sie nicht vernünftig durchgeführt werden. Das braucht natürlich Zeit und ist dadurch für viele Betroffene keine kurzfristige Lösung, aber in Kombination mit z.B. organischen Schutzkonstruktionen „vor“ den angepflanzten Ökosystemen würde sowohl kurz- als auch langfristig eine Lösung entwickelt. Das wurde andernorts erfolgreich implementiert. Natürlich ist diese Lösung für die Tourismus-Branche nicht immer attraktiv, aber hier bewegen wir uns in den Bereich der Anpassung an Umwelt-(Klima-)Wandel: Gesellschaften müssen sich (idealerweise proaktiv) an den Wandel anpassen, statt nur zu versuchen, ihn aufzuhalten (dafür ist es zu spät) oder ihm hinterherzulaufen. Die Tourismus-Branche muss ja nicht völlig auf Strandurlauber, die blaues Wasser und weißen Sand wollen, verzichten – Naturtourismus als zusätzliche Option würde jedoch helfen, Lösungen für zahlreiche Probleme zu finden.“
Mara und ihre LeidensgenossInnen werden diese beide Aussagen vermutlich nicht beruhigen oder gar zufriedenstellen. Für sie geht es ganz konkret um das Morgen und das wirtschaftliche Überleben. Sie haben neben dem Verlust ihres Grunds und Bodens auch noch mit den Folgen des Lockdowns zu kämpfen. Seit fünf Monaten haben sie keine Einnahmen. Mit Ihnen leiden auch alle Angestellten.
Am Ende wird es vermutlich eine ähnliche Lösung wie diejenige mit den Riesenreifen geben und in diesen Bereichen dann eine kurzfristige Verbesserung. Inwiefern dann da Problem in andere Regionen verlagert wird und ob die Lösung auch nachhaltig den Menschen in der Region hilft, wird dann die Zukunft zeigen. Langfristig wird der durch den menschengemachten Klimawandel verursachte Anstieg des Meeresspiegels die Probleme hier noch mehr verstärken.
*Nachtrag: Als wir 6 Wochen später noch einmal da waren, hatten die Wellen schon Maras Strand-Bar vernichtet und die Bodenplatten einiger Gebäude von östlichen und westlichen Nachbargrundstücken unterspült. Der verbleibende Strand hat inzwischen auch kein flaches Profil mehr. Dadurch tragen die Wellen immer mehr Sand mit sich weg.
**Ecosystem Design
Dieses Konzept verfolgt das Ziel, Ökosysteme anzulegen, um lokal oder regional (oder global) benötigte Ökosystemleistungen anzubieten – insofern ist es eine Weiterentwicklung der Rehabilitation von zerstörten Ökosystemen, fokussiert aber auf gesellschaftliche Bedarfe (und
Bedürfnisse) statt auf das Ökosystem oder Biodiversität.