Riesenschreck in der Nacht

Drei Tage haben wir darauf gewartet, dass der Wind aus Norden nachlässt, um weiterzufahren. Für die nächsten 48 Stunden sieht es in den meisten Wettermodellen jetzt danach aus. Wir legen kurz vor Sonnenuntergang ab und rechnen damit, am Donnerstag vor Sonnenuntergang circa 175 Seemeilen weiter in der angepeilten Ankerbucht zu sein. Kurz vor dem Losfahren bringen uns die locals noch Lebensmittel und Diesel, denn bis Suez sind es 320 Seemeilen und wir wissen nicht, ob und wo wir unterwegs Nachschub bekommen. Falls wir tatsächlich nur Motoren müssen, könnte es knapp werden. Wir rechnen hin und her. Soma Bay liegt zwar ungefähr auf dem Weg und wäre eine Möglichkeit hierfür – ein Stopp dort würde uns aber wertvolle Zeit des Wetterfensters kosten. Jetzt aber erst mal los.

Aus dem frisch erworbenen Hackfleisch bastle ich uns zum Abendessen Penne Bolognese. Mit der Dunkelheit startet Daniel seine erste Nachtwache und ich lege mich schlafen. Leider schläft der Wind kurz darauf ein und Daniel weckt mich bereits nach einer halben Stunde, um gemeinsam Daphne in Motor-Modus zu bringen. Als ich aufstehe, gibt es einen Riesenschreck: Mein Fuß steht im Wasser. Ich springe auf, schalte das Licht ein und bekomme Panik. Daphne läuft voll. Der Frischwassertank ist es nicht, ich schmecke Salz. Das Wasser steht schon über dem Salonboden. Im Bad, das etwas tiefer liegt, schwappt das Bodenbrett bereits 10 Zentimeter hoch frei herum. Wir beide sind völlig durcheinander und voller Adrenalin. Was tun? Grabpack greifen, Notruf absetzen, Rettungsinsel vorbereiten, beten? Wir sind zwar nur ca. 15 Seemeilen von der Küste entfernt, aber es ist Nacht und wer weiß, wie viel Zeit uns noch bleibt.

Ich versuche, etwas runterzukommen. Wir starten vorsichtshalber den Motor, der nächste Griff geht zum Schalter der Bilgenpumpe. Sie springt an und pumpt innerhalb weniger Minuten alles ordentlich ab. Aber wo kam das Wasser her? Wir hatten keine Grundberührung und haben nichts gerammt, bleiben also nur die Borddurchlässe. Da ich kurz nach dem Losfahren die Bilgenpumpe noch einmal laufen ließ und beim Kontrollblick kein Wasser in der Bilge stand, muss es an der Schräglage liegen – also die Borddurchlässe betreffen, die normal über der Wasserlinie liegen. Unter Motor laufen wir nun etwas direkter auf Kurs, gerade so, dass die Segel nicht flattern. Wir haben immer noch leichte Schräglage. Wir checken alle Ventile und Durchlässe – alles in Ordnung. Aber kurz nachdem ich die Bilgenpumpe ausgeschaltet habe, steht das Wasser schon wieder Unterkante Bodenbretter. Also, Pumpe wieder an. Außerdem holen wir die Genua rein, um die Schräglage wegzunehmen – falls es daran liegt. Und tatsächlich: Nachdem die Pumpe ihren Job erledigt hat, bleibt das Schiff trocken.

Ich schraube einige Bodenbretter ab. Zwar ist darunter alles nass, aber ich kann daraus nicht auf die Stelle des Lecks schließen. Wir sind ratlos. Ich rufe meinen Safeguard in Deutschland an. Sven ist Bootsbauer und kennt Daphne bestens. Er rät uns dazu, alle Anschlüsse vom Auspuff zu überprüfen. Der Durchlass ist recht groß, was die Wassermenge erklären würde, und liegt nur bei Schräglage unter Wasser. Besser wäre aber noch zur Sicherheit, den nächsten Hafen anzulaufen. Wir sind völlig erschöpft und beschließen, die Entscheidung hierzu wie auch die weitere Lecksuche auf den Morgen zu verschieben. Momentan ist ohnehin kein Wind und beim Motoren läuft ja nichts rein. So geht es dann durch die Nacht, zwar mit mulmigem Gefühl, aber ohne weitere Zwischenfälle.

Nach einigen Stunden Schlaf und einem Kaffee mit Keksen geht es nach Sonnenaufgang erneut auf die Suche. Die Backskiste wird komplett ausgeräumt, um auch wirklich überall nachschauen zu können. Die Bilge ist trocken und auch die nochmalige Kontrolle aller Durchlässe sowie des gesamten Auspuff-Systems verläuft ergebnislos. Also holen wir wieder die Genua raus und ändern leicht den Kurs, um wieder Schräglage zu bekommen – Nichts. Motor aus, Motor an – Nichts. Wir wischen alle feuchten Stellen, auch unter den Bodenbrettern trocken, um ein eventuelles Rinnsal zu entdecken – Nichts. Wenn es nicht an den Durchlässen liegt, kann eigentlich nur noch ein defektes Rückschlagventil oder ähnliches in Betracht kommen. Bei unserem Pumpklo ist alles in Ordnung. Ich starte die Bilgenpumpe kurz und schalte sie wieder aus. Plötzlich steigt der Pegel in der Bilge rasant, ohne dass von irgendwo erkennbar Wasser kommt. Noch einmal ein- und wieder ausschalten – genau dasselbe.

Das ist es also: Der tiefste Punkt der Bilgenpumpe liegt immer im Wasser, daher kann man nicht sehen, wenn durch sie das Wasser reinfließt. Jedes Mal, wenn man die Bilgenpumpe ausschaltet, läuft etwas Wasser aus dem Abflussschlauch zurück und zieht damit aus dem Borddurchlass Seewasser an – natürlich nur, wenn dieser wegen Schräglage unter Wasser liegt, was ja meistens nicht der Fall ist. Diesmal aber schon. Uns fällt ein riesiger Stein vom Herzen. Nicht auszudenken, wenn wir den Fehler nicht gefunden hätten. Ob das Problem nun an der Pumpe selbst liegt oder der Einbauort in Verbindung mit der Schlauchverlegung den Effekt auslöst, werden wir in Ruhe am nächsten Liegeplatz untersuchen. Jetzt gilt es erst einmal, das Wetterfenster optimal zu nutzen und natürlich die Bilgenpumpe nicht mehr bei Steuerbord-Schräglage zu nutzen. Ein weiteres Mal bin ich froh, nicht alleine unterwegs zu sein. Das war einer der 2-3 heftigsten Momente unserer bisherigen Tour. Nicht auszudenken, was da hätte passieren können. Nächste Anschaffung ist definitiv ein Wassersensor mit Alarm.

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