Wie alles begann

ALLER ANFANG IST SCHWER

Wenn mich jemand fragen würde, was mich am meisten am Segeln fasziniert – ich könnte es nicht sagen. Nicht mit einem Satz. Nicht mit einem Buch.

Zum einem liebe ich das Segeln weil es eine ganz eigene Welt ist. Das fängt schon bei der Sprache an. Meter und Kilometer werden zu Seemeilen und Kabellängen, Links und Rechts zu Backbord und Steuerbord und Dirk ist kein Männername sondern Teil des laufenden Gutes. Für Anfänger ist durchaus ein Wörterbuch „Deutsch/Segeln – Segeln/Deutsch“ sinnvoll – allein schon die Knoten sind samt ihren Bezeichnungen eine Wissenschaft für sich. Dazu kommen Navigation, Wetterkunde, Seemannschaft sowie das Beherrschen diverser technischer Ausrüstung. Und natürlich das Segeln an sich.

Vom Lesen guter Bücher kennt man ja dieses Gefühl in eine fremde Welt einzutauchen. Und wie leer man sich fühlt, wenn man diese am Ende der letzten Seite dann wieder verlassen muss. Hat man sich doch gerade erst an sie gewöhnt. Schön, wenn eine oder gar mehrere Fortsetzungen hier ein Zurück in die inzwischen vertraute Welt ermöglichen.

Ich habe das schon als Kind bei Enid Blyton geliebt. Oder später dann bei „Herr der Ringe“ von Tolkien, der das Schaffen eines fremden Universums zur Perfektion getrieben hatte – eigene Sprache inklusive.

Beim Segeln wechselt man nachhaltig in die andere Welt – wie in „Tintenherz“. Aber nicht nur diese Abgrenzung zur Landratten-Welt faszinierte mich.

Segeln bedeutet gegenüber der Fortbewegung auf Straßen oder Schienenwegen die ständige Freiheit der Richtungswahl – Küsten, Untiefen und andere Boote exklusive. Selbst zu Fuß muss man seine Wege meistens dem Landschaftsprofil anpassen. Auf dem Wasser bist Du dreihundertundsechszig Grad frei. Diese Freiheit überträgt sich auf das Denken und Fühlen. Und nirgendwo habe ich mehr das Gefühl ein Teil der Natur zu sein. Beim Segeln geht es nicht darum die Elemente zu beherrschen. Es geht darum, ein Teil von Ihnen zu werden und mit ihnen umzugehen. Erfahren vorauszuschauen, richtig zu reagieren. Ob Sturm oder Flaute. Ob spiegelglatte See oder Wellengebirge. Das Kommen und Gehen dieser Einflüsse ist nicht veränderlich. Unabhängig vom eigenem Handeln und dem ständig auf einem lastenden Druck dieses zu beeinflussen.

Auf dem Meer gibt es nur Dich und das Boot.

Das Segeln wurde mir nicht in die Wiege gelegt. Als Kind hatte ich nur zwei-, dreimal im Segelboot  meines Onkels Kontakt mit Luv und Lee. Ich fand es damals allerdings nicht besonders spannend. Zu kompliziert das Zusammenspiel von Wasser, Wind und Boot – zu undurchsichtig die Auswirkungen von Manövern.

Meine nächste Begegnung mit einer Jolle war dann erst wieder mit sechsundzwanzig.

Ich hatte gerade mein Jura-Studium abgebrochen und war seit einem Jahr in der Tischler-Lehre. Damals lernte ich Nicole kennen. Sie war einundzwanzig, einen Kopf kleiner als ich, in der Ausbildung zur Krankenschwester und: Sie war Niedersachsenmeisterin auf der 470-er! Ich hatte damals keine Ahnung was das ist, hörte sich aber beeindruckend an.

Es waren allerdings nicht die Pokale in ihrem Regal sondern ein unscheinbares Buch daneben, das mein Interesse am Segeln entfachte. „Komm wir segeln um die Welt“. Sechs Wörter die das Leben der Autorin für immer veränderten. Bei mir sollte es noch etwas dauern.

Mit Nicole ging es erst einmal per 470-er aufs Wasser. Mit Gordon, dem Bekannten eines Freundes dann etwas später mit einer 505-er. Beim böigen Wannsee eine Herausforderung der besonderen Art. Die erste Fahrt endete nach wenigen hundert Metern mit einer Durchkenterung. Ich blieb zunächst trocken, da ich vor Schreck wie ein Affe entgegen der Kenterrichtung auf den Kiel turnte. Das nützte allerdings wenig, zum Aufrichten ging´s für mich dann doch ins Wasser.

Mit meinem, zwei Jahre älteren Cousin und seinem Holzpiraten ließen wir es dann etwas ruhiger angehen. Ein Kasten Bier sowie ein Dutzend Bouletten mit Kartoffelsalat sollten Kucki und mir für das Pfingstwochenende auf den Seen südlich von Berlin reichen. Anstrengend war hier höchstens das ständige Mastlegen. Auf manchen Abschnitten hatte ich das Gefühl zwischen den Brückenabschnitten den Vorschiffkasten überhaupt nicht verlassen zu haben. Besonderen Unterhaltungswert hatte unser Anlegemanöver vor einem gut besuchten Biergarten am Köpenicker Schloss. Ich sprang zum Festmachen auf’s Vorschiff, rutschte auf dem Sonnenöl-verschmierten Deck aus und landete mit großem Platsch im Wasser. In einer abgerundeten Bewegung nahm ich den Schwung des Auftauchens mit, um Sekunden später sitzend auf den Decksplanken zu landend. Obwohl ich mir ziemlich dämlich vorkam und es mir vermutlich auch kein zweites Mal so gelingen würde, sah es wohl recht lässig aus. Ein in der Nähe stehender bayrischer Tourist fragte, ob das so geplant war und dieses Anlege-Manöver hier so üblich wäre. Aus dem Biergarten klang vereinzeltes Geklatsche. Kucki lacht heute noch Tränen wenn wir davon erzählen.

Der Törn-Höhepunkt – in doppelter Hinsicht – war allerdings unsere Reparaturbemühung nachdem uns das Großfall durch den Mast rauschte – der Achterknoten ist vermutlich der am meisten unterschätzte seiner Art.

Die einzige Möglichkeit in dieser Seenlandschaft das Fall von oben mittels Schwerkraft wieder in den Mast einzufädeln, war das Erklimmen eines hohen Baumes. Wir mussten einen solchen allerdings erst einmal suchen und die Pfingstspaziergänger staunten nicht schlecht als Ihnen mitten im Wald zwei Segler mit einem sechs Meter langen Mast begegneten.  Und auch der Anblick des an einen Baum gelehnten Mastes mit zwei in Badeshorts gekleideten Segelfreunden beim Fall-Einfädeln hatte einen hohen Unterhaltungswert.

Das größte Problem beim Piraten war der enorme Arbeitsaufwand für Wartung und  Instandsetzung. Und damit nicht genug. Einen Liegeplatz  gab es erschwinglich nur in Verbindung mit einer Vereinsmitgliedschaft und diese wiederum nur gekoppelt mit Dutzenden von zu leistenden Arbeitseinsätzen.

Für meinen als Tischlermeister tätigen Cousin bedeutete dies schier endlose Schreiner-Arbeiten im stark sanierungsbedürftigen Vereinsheim. Dazu selbstverständlich die ungezählten Arbeitsstunden am eigenen Holzboot. Schleifen, Lackieren, Ausbessern von Schadstellen und so weiter. Rechnerisch kamen auf eine Segelstunde mindestens 10 Stunden Rahmenprogramm – gefühlt doppelt so viele.

Ich zeigte mich hiervon damals jedoch unbelehrbar. Zum Abschluss meiner Tischler-Lehre bot mir mein Chef  an, kostenlos seine 20-er Wanderjolle Baujahr 1930 zu übernehmen. Das gute Stück lag über zehn Jahre seitlich an der Hofmauer seines Betriebes gelehnt, sah aber noch recht gut in Schuss aus. Ich hätte misstrauisch sein müssen, denn mein Chef und ich hatten nicht gerade das beste Verhältnis zueinander – und nun dieses Geschenk. Aber schließlich war das Ding aus Holz und ich hatte gerade meine Gesellenprüfung bestanden. Es war also irgendwie auch eine Frage der Ehre.

Ich brachte die Jolle mit Gordon, 505-er-Kapitän, in ein Gewerbegebiet. Der Besitzer stellte uns kostenlos eine kleine Fläche für unser Vorhaben  zur Verfügung. Fortan verbrachten wir die freien Wochenenden verschwitzt durch Schleifmasken atmend am Bootsrumpf. Aufgrund der langdauernden seitlichen Lagerung waren neben der Oberfläche leider auch diverse Spanten, Wangen und Planken beschädigt. Ich hatte das Gefühl, dass jede Ausbesserung doppelt so viel an weiteren Arbeiten nach sich zog. Schließlich hatte ich die Schnauze voll.

Ich „schenkte“ Gordon meine Hälfte des Bootes und überließ ihn seinem Schicksal.

Wie ich später irgendwann erfuhr, versuchte er sich noch ein paar Wochen  länger an dem guten Stück. Bis auch er die Idee aufgab, das Edelwrack mittels traditioneller Bootsbaukunst dicht zu bekommen. Er half abschließend noch einmal mit moderner Technik nach und investierte kräftig in GFK-Matten und Epoxidharz. Nachdem er das Boot vermeintlich dicht bekommen hatte, begab er sich mittels Leih-Trailer ans Wannsee-Ufer.

Ähnlich wie die Wasa von Schwedenkönig Gustav II, versank die 20-er Jolle beim Stapellauf – noch bevor er ihr einen Namen geben konnte. Die Undichtigkeiten in Verbindung mit dem Zusatzgewicht des dick aufgetragenen Epoxids ließen Gordons Rettungsversuchen keine Chance. Der schlammige Grund hat sie bis heute nicht wieder freigegeben. Im Gegensatz zur Wasa entstand an dieser Stelle allerdings kein Museum.

Ich habe aus diesen Erfahrungen gelernt und bin seitdem, ob nun Yacht oder Jolle, äußerst zufrieden mit Booten aus GFK unterwegs.