Spiegel online (Interview-Anfrage)

Wo sind Sie gerade ganz genau?

Wir sind aktuell in der Marina von Santa Marta/ Kolumbien an einem Fingersteg.

Hierzulande rutschen die Menschen gerade kollektiv in eine Depression, die Straßen sind leer, das Leben findet weitgehend hinter verschlossenen Türen statt. Wie ist bei Ihnen die Stimmung? Was sehen Sie wenn Sie um sich schauen? Was hören Sie, was riechen Sie in diesem Moment oder auch sonst?

Die Segler hier sind durchaus etwas deprimiert, für viele droht ja ein Lebenstraum zunehmend zu zerplatzten. Wir liegen in einer Marina mit ca. 250 Plätzen von denen ca. 2/3 belegt sind. Aber nur auf ca. 30 Booten befinden sich Personen. Seit sich am Samstag die MitarbeiterInnen von uns verabschiedet haben, fühlt es sich hier ziemlich verwaist. Wir versuchen uns alle in kleine Aktivitäten zu flüchten, um erst gar nicht ungute Gefühle aufsteigen zu lassen. Wir begegnen uns alle sehr zuvorkommend freundlich, machen aber mit wenigen Ausnahmen jeder seins. Zusammenkünfte sind ja auch in der Marina nicht angesagt. Einige sieht man morgens beim Yoga, manche Familien machen Hausaufgaben mit ihren schulpflichtigen Kindern oder der Hund wird ausgeführt. Die russische Familie nebenan mit drei kleinen Kindern hat es besonders schwer. Spielplatz gibt es nicht, Baden nicht erlaubt, Umherrennen auch nur begrenzt. Unsere Geräuschkulisse besteht also hin und wieder aus Kindergeschrei, leisem Hundebellen oder dem anschwellenden Wind der immer nachmittags einsetzt, an den Fallen zerrt und manchmal heulend durch den Mast jagt. War die nahe Stadt vorher voller Leben, pulsierend mit Verkehr, bunten Lichtern und lauter Musik, strahlt sie jetzt eine gespenstische Ruhe aus. Nur ab und zu schallt eine Sirene herüber oder ein tieffliegender Hubschrauber unterbricht die Stille.

Vielleicht fühlen sich so Menschen im Exil. Eigentlich ist es hier sehr komfortabel, netter Blick auf Santa Marta, ringsum das Meer (auch wenn man nicht baden darf) und trotzdem fühlt sich irgendetwas nicht richtig an. Wir beruhigen uns immer wieder damit, dass wir ja noch großes Glück hatten, überhaupt hier gelandet zu sein. Aber das hält nie lange an. Die Ungewissheit und, dass wir sehr weit weg von der Familie sind, macht uns schon zu schaffen. Besonders mulmig war uns, als wir am letzten Sonntag die vorerst letzte Gelegenheit zum Heimfliegen verstreichen ließen. Gerade in solchen Zeiten ist man eigentlich lieber in der Nähe seiner Liebsten. Auch wenn wir regelmäßig mit unseren Kindern und Eltern telefonieren – es ist eben doch nicht das gleiche.

Gelegentlich schaffen wir es für eine Weile dies alles zu vergessen. Zum Beispiel wenn wir uns abends mit unseren Bootsnachbarn auf einen Sundowner treffen und dann auch mal über andere Dinge als das C-Wort reden. Überhaupt ist es schön zu sehen, wie die Menschen in solch einer Situation zusammenrücken und einander helfen. Jeder bringt sich im Rahmen seiner Möglichkeiten hier ein. Es werden An- und Verkäufe von Bootszubehör organisiert, das Hafenbecken von Plastikmüll gereinigt, Yogastunden veranstaltet oder Treffen abgehalten um zu besprechen was im Falle einer kritischen Sicherheitslage alles an Vorkehrungen treffen müsste. Kurzum wir sind hier gut organisiert und Langeweile kommt trotz der Einschränkungen bislang nicht auf. Und zur Not gibt es ja am Boot immer reichlich zu tun.

Hatten Sie Schwierigkeiten, einen Ankerplatz / Hafen zu finden?

Wir sind am 12.3. gegen 22:00 Uhr Ortszeit nach 60 Stunden Überfahrt von Curacao in Santa Marta angekommen. Über Funk wurden wir von Radio Port Control aufgefordert nicht in den Hafen einzulaufen, sondern in der Bucht davor zu ankern und auf die Behörden zu warten. Am nächsten Tag kam um ca. 11:00 Uhr ein Amtsarzt in Begleitung seines Mitarbeiters an Bord. Sie kontrollierten unsere Körpertemperatur mittels Fieberthermometer und nahmen umfangreich unsere Boots- sowie Personendaten auf. Bisherige Reiseroute, angelaufene Häfen der letzten Monate usw..

Anschließend bekamen wir ein Dokument mit dem wir in den Hafen einlaufen durften. Die dortigen Mitarbeiter waren bereits informiert und unterstützten uns äußerts hilfsbereit beim Anlegen wie auch bei sämtlichen Einreiseformalitäten.

Wann haben Sie von der Corona-Krise erfahren?

Das erste Mal hatte meine Frau über WhatsApp am 28. Januar Informationen von den Geschehnissen in China erhalten. Eine Nachricht unter vielen. Darüber nachgedacht, dass auch wir mit unseren Reiseplänen davon betroffen sein könnten, haben wir erst kurz vor unserer Abreise von Curacao am 10.3. Auch nach der Umsetzung der ersten Maßnahmen, glaubten wir noch eine Zeitlang daran, dass man sich mit entsprechender Quarantänefristen weitgehend frei fortbewegen kann. Inzwischen stehen alle Signale auf Stopp.

Was dürfen Sie tun, was ist nicht erlaubt? Dürfen Sie an Land? Oder tun Sie es einfach? Welche Regeln gibt es in Kolumbien? Wie werden die kontrolliert? Was ist möglich, was nicht?

Nach der anfänglich nur abendlichen Ausgangssperre gilt diese seit dem 21.3 ganztägig. Lediglich Einkäufe sind uns gestattet – aber nur eine Person pro Schiff. Wir halten uns selbstverständlich an die Regeln. Am Hafeneingang steht ein Mitarbeiter der Security. In den Supermärkten ebenfalls. Diese achten darauf, dass Abstände eingehalten und Masken benutzt werden. Gelegentlich werden einem die Hände mit Desinfektionsspray besprüht. Im Hafen wurden die Gemeinschaftsräume (außer Sanitär) verschlossen und Sitzbänke im Außenbereich entfernt.

Insgesamt denke ich, dass hier in einem sehr frühen Stadium der Ausbreitung reagiert wurde und die Menschen sehr diszipliniert mit der Situation umgehen.

Können Sie sich irgendwie versorgen (mit Strom, Wasser etc.)?

In der Marina gibt es Wasser, Strom, WLAN, Sanitäranlagen, Müllentsorgung. Die Büro-Mitarbeiter sind allerdings im Home-Office und der Minimarkt auf dem Gelände ist seit Beginn der Ausgangssperre geschlossen. Sollte sich die Versorgung verschlechtern, wären wir Dank Wassermacher sowie Solar- und Windgenerator relativ autark.

Wie sieht Ihr Tagesablauf aus? Haben Sie eine tägliche Routine?

Routinen brauchen wir hier nicht – vor denen sind wir ja geflohen. Aber ich gehe regelmäßig morgens vor Sonnenaufgang im Hafengebiet Joggen. Drei Runden je 10 Minuten einmal durch die ganze Marina. Nach dem Frühstück wird meist ausgiebig mit den anderen Yachten über die neuen Informationen und Sachstände diskutiert. Die Kommunikation mit der Heimat und Seglern in anderen Regionen nimmt ebenfalls einige Zeit in Anspruch. Und dann gibt es an einem Boot ja auch immer viel zu basteln, räumen und putzen. Gestern habe ich es nach 8 Monaten endlich mal geschafft die Bedienungsanleitung unserer Drohne ausgiebig zu studieren. Ein Wunder, dass ich sie bislang noch nicht versenkt habe. Langeweile kommt bislang jedenfalls nicht auf. Falls doch haben wir ausreichend Bücher, Videos sowie eine Gitarre und Lernmaterial für Spanisch an Bord.

Wann und wo waren Sie das letzte Mal einkaufen oder sonst irgendwie an Land? Was waren Ihre Beobachtungen? Wurde gebunkert? Herrschte Ansteckungsangst? Wie war die Stimmung in der Bevölkerung?

Wir hatten ursprünglich nur ca. eine Woche Aufenthalt in Kolumbien geplant und wollten anschließend zügig durch den Panamakanal weiterfahren. Daher hatten wir bereits vor den Einschränkungen die gute und günstige Versorgungslage in Santa Marta genutzt, um Lebensmittel für den Südpazifik zu bunkern.

In Hafennähe gibt es einen Supermarkt der die ganze Woche geöffnet ist. Wir gehen dort jeden zweiten Tag ganz normal einkaufen. Schutzmasken sind Pflicht. Am ersten Tag nachdem die Ausgangssperre verkündet wurde bildete sich dort eine längere Schlange, vor allem deshalb, weil nur eine begrenzte Anzahl Personen hineingelassen wurde. In den Folgetagen waren dann jeweils sehr wenige Menschen dort. Inzwischen wird der Zugang über die Endnummern im Ausweis reguliert, jeder darf nur zweimal in der Woche in den Markt. Die Regale sind gut gefüllt, Hamsterkäufe konnten wir nicht beobachten. Die Menschen wirken alle sehr besonnen. Fast alle tragen inzwischen Schutzmasken – bis hin zu den Obdachlosen.

Vor der Ausgangsperre hatten wir noch einen dreitägigen Ausflug in ein Naturreservat unternommen, inklusive einiger Wanderungen und Übernachtung im Baumhaus. Hier war die Stimmung etwas bedrückt, da abzusehen war, welche Folgen die Ausgangsperre für die Betreiber und ihre Beschäftigten haben wird.

Davor waren wir allabendlich in der Innenstadt zu Restaurantbesuchen. Hier hatten wir, außer vereinzelter Schutzmasken bei den Angestellten, noch keine Anzeichen der aufkommenden Krise wahrgenommen.

Wie informieren Sie sich?

Wir haben inzwischen diverse WhatsApp-Gruppen für die Fragen hinsichtlich möglicher Routen unserer Weiterfahrt sowie für die Kommunikation innerhalb unseres Hafens („Sailing Home“, „Crossing Panama“, „Foreigners in SM Marina“ etc.). Außerdem telefonieren und schreiben wir regelmäßig mit Familie und Freunden in Deutschland. Da wir ein gut funktionierendes WLAN haben, informieren wir uns regelmäßig auf deutsche Nachrichtenseiten sowie durch digitale Formate der Öffentlich-Rechtlichen. Segelspezifische Informationen bekommen wir über die einschlägigen Webseiten wie www.noonsite.com oder die des „Trans Ocean e.V.“, sowie über entsprechende (teilweise auch regionale) Facebook-Gruppen. Auf der Überfahrt waren wir für Notfälle über Satellitentelefon erreichbar.

Wie werden Sie von den Behörden behandelt?

Bislang hatten wir, außer bei der ärztlichen Einreisekontrolle keinen Kontakt mit den hiesigen Behörden, da die Mitarbeiter der Marina sämtliche Formalitäten übernommen haben.

Große Sorgen mache ich mir allerdings über die Nachrichten über abgewiesene Segler in diversen Ländern. Trotz verschiedenster Möglichkeiten der Quarantäne wird Booten die Einreise untersagt. Das wird für den Fall einer Rückreise nach Deutschland ein großes Problem werden. Es muss dringend dafür gesorgt werden, dass beispielsweise auf den Kanaren, Azoren oder Madeira Nothäfen zur Verfügung stehen. Auch wenn dies angesichts der Tragweite dieser Krise eher ein Randthema ist – da erwarte ich auch von der deutschen Politik ein Engagement gegenüber den entsprechenden Ländern.

Stehen Sie in Kontakt mit dem Ausländischen Amt? Ist das ein Thema für Sie?

Ich hatte mich bei der Deutschen Botschaft in Bogota telefonisch über die Auswirkungen der Einschränkungen informiert. Besonders war ich daran interessiert, wie wir das Land auf eigenem Kiel verlassen können für den Fall, dass wir uns dazu entschließen sollten. Derzeit haben wir dies zwar nicht vor. Es wäre allerdings auch nicht möglich, da uns von der hiesigen „Immigration“ die Ausreisegenehmigung verweigert wurde. Diese hatten wir vorsorglich beantragt, falls es doch noch eine Gelegenheit der Weiterfahrt durch den Panamakanal gegeben hätte. Der Botschaftsmitarbeiter bestätigte, dass Staaten nicht nur die Einreise sondern auch die Ausreise untersagen können und Kolumbien dies bei Freizeitbooten derzeit auch umsetze. Seitens der Botschaft wurde uns allerdings auch der Tipp gegeben, dass die Behörden unter Umständen eine Ausreise genehmigen würden, wenn wir glaubhaft versichern, dass wir direkt nach Deutschland zurückfahren wollen und dazu auch technisch wie personell in der Lage sind.

Beobachten Sie andere Segler aus fremden Ländern, die Schwierigkeiten haben?

Wir haben zahlreiche Kontakte zu anderen Seglern. Die Aufzählung der uns dadurch bekannten Probleme würde den Rahmen hier sprengen. Nur kurz in Stichpunkten – auf Nachfrage dann auch gerne detaillierter.

  • Yacht nach mehrtägiger Reise die Einreise in Curacao verweigert und nur nach mehrmaligem Nachhaken von verschiedenen Seiten unter Einhaltung 14 Tage Quarantäne genehmigt.
  • Segler in Cartagena bei dem Versuch auszulaufen von der Küstenwache abgefangen und in den Hafen zurückgedrängt.
  • Einigen Yachten die schon mehrere Wochen in Panama sind und bereits einen Termin für die Kanalpassage hatten, wurde der Termin gecancelt – Hauptproblem die Quarantänebestimmungen bei den sogenannten Lineholder und Lotsen.
  • Hier vor unserem Hafen tauchen immer wieder Yachten auf, die nicht einlaufen dürfen. Manche bleiben einige Tage vor Anker und verschwinden dann wieder. Ein Trimaran liegt derzeit noch dort und soll zeitnah das Land verlassen, ohne eine Perspektive wo er anlanden könnte.
  • In Französisch-Polynesien werden Skipper gezwungen Ihre Yachten zu sichern und mit Crew nach Hause zu fliegen. Maximal ist es wohl möglich direkt nach Tahiti zu segeln um sich zu verpflegen und dann sofort weiter aus dem Staatsgebiet herauszufahren. Der Rückflug-Zwang betrifft wohl auch alle 30 Boote der World-ARC die sich derzeit dort befinden.
  • Viele Segelfreunde liegen in der Ost-Karibik fest. Sie alle wissen nicht was passiert, wenn der aktuelle Zustand noch in die Hurrikan-Saison (ab Juni) reicht. Die Boote sind dort dann weder sicher noch versichert.

Was wird Ihnen gesagt, wie lange der Zustand andauert? Würden Sie gern vorher zurück? Wie lange können Sie aushalten?

Die Ausgangssperre gilt zunächst bis 14. April 04:00 Uhr. Zurück möchten wir nicht, aber gerne weiter. Oder eben hierbleiben – aber nur wenn Landausflüge etc. möglich sind. Die Region ist sehr interessant und vielfältig. Technisch können wir vermutlich Monate aushalten. Wann uns die Decke auf dem Kopf fällt, weiß ich nicht. Simplifiziertes Dasein auf engem Raum kennen wir aber ja schon von der Atlantiküberquerung.

Was waren Ihre ursprünglichen Pläne? Was sind jetzt Ihre Pläne für die nächsten Monate?

Wir hatten geplant innerhalb von 3-4 Jahren um die Welt zu segeln und wollten Ende März durch den Panamakanal. Derzeit kommen für uns folgende Optionen in Frage: Einschränkungen nur bis Mai und entspannte Situation in der Südsee = weiter wie geplant. Probleme in Panama und der Südsee aber in der Karibik entspannter = hier bleiben und im Januar durch den Kanal. Krise verschärft sich = Rückreise nach Deutschland noch vor der Hurrikanesaison auf eigenem Kiel.

Die Option, das Boot hier zu lassen und nach Deutschland zu fliegen ziehen wir derzeit nicht in Betracht.

Was ist das skurillste / spektakulärste Erlebnis, das Sie als Segler in der Corona-Krise hatten?

Vielleicht nicht spektakulär aber schon ein wenig skurril:

Wir erleben hier teilweise einen gewissen Perspektivwechsel. In Deutschland sind manche Unbelehrbare bei Themen wie Kriminalität, Krankheiten oder anderen Problemen ja schnell dabei auf Minderheiten zu schielen. Wir kämpfen wo möglich dagegen an. Hier erleben wir gelegentlich diese Vorurteile auf einmal aus einem anderen Blickwinkel. Nicht als Beobachter sondern als Betroffene. Das Virus kommt schließlich aus dem Ausland – also bekommt man als Europäer schon mal den einen oder anderen scheelen Blick zu spüren. Manche Taxifahrer halten nicht an. Eine Freundin auf Grenada wollte man, nachdem Sie gesagt hatte, dass sie aus Deutschland kommt aus dem Hotel schmeißen. Sie konnte nach massiven Protesten dann doch bleiben. Das ist eine ungewohnte Erfahrung die uns aber vermutlich noch besser verstehen lässt, wie sich die Betroffenen in Deutschland in solchen Situationen fühlen. Die allermeisten Menschen sind hier aber äußerst nett und aufgeschlossen.

Was ist für Sie die größte Herausforderung in der Situation? Bietet Sie für Sie auch Chancen?

Die Ungewissheit ist derzeit das größte Problem. Alles wäre einfacher, wenn man wüsste, auf was man sich einstellen muss und dann entsprechend planen kann.

Positiv ist für uns, dass wir nach den recht turbulenten vergangenen acht Monaten das erste Mal etwas zur Ruhe kommen. Bislang war unsere Reiseplanung aufgrund des ursprünglichen Zeitplans recht hektisch, wenn auch auf eine angenehme Art. Und von Kolumbien haben wir auch schon deutlich mehr gesehen, als dies bei einem kurzen Zwischenstopp möglich gewesen wäre. Es gefällt uns hier gut, so dass wir (abgesehen von unserem Zeitplan) auch nichts dagegen hätten, noch länger zu bleiben – ohne Ausgangssperre natürlich.