Zwangspause im Panamakanal

In Vorbereitung zu unserer Weltumsegelung hatte ich zwecks Grobplanung eine Liste „weekly waypoints“ erstellt. In dieser standen sauber aufgelistet alle wichtigen Stationen der Tour und das ungefähre Datum, wann wir diese erreichen würden. Für den Panamakanal hatte ich die letzte Märzwoche 2020 eingetragen. Woody Allen sagte einmal: „Wenn Du Gott zum Lachen bringen willst, erzähle ihm von deinen Plänen.“

Dank Corona wurde aus März 2020 bei uns Februar 2021. Uta war inzwischen längst wieder in der Heimat, Antonia kam Anfang Januar an Bord. Nach einer tollen Zeit in San Blas und Linton Bay fuhren wir nach Shelter Bay Marina – dem Tor zum Panamakanal. Dort kam DAPHNE für einen neuen Unterwasseranstrich aus dem Wasser und wir waren einige Tage mit kleineren Bootsreparaturen und Erkundungstouren in den benachbarten Dschungel beschäftigt.

Nach der offiziellen Boots-Vermessung (für 60$ wurde zweimal kurz ein Maßband über DAPHNE gespannt) durch die Kanalbehörden bekamen wir eine (lebenslang gültige) Registriernummer für den Kanal sowie einen Termin für die Passage und waren jetzt total gespannt was uns da erwartete. Geschichten über die Durchfahrt hatte ich natürlich schon haufenweise gelesen, nun waren wir selbst der Reihe.

Neben der Vermessung und einer Gebühr von circa 1.800,–$ muss man sich auch besondere Fender sowie vier 50 Meter lange „Panamaleinen“ organisieren. Die umfangreichen Formalitäten könnte man theoretisch selbst bewerkstelligen – aufgrund der besonderen Situation einer weltweiten Pandemie entschieden wir uns aber lieber dafür, die Dienste eines Agenten in Anspruch zu nehmen. Wie sich später herausstellen sollte, waren die 280,–$ in unserem Falle gut investiert.

Es ist Vorschrift, dass außer dem Skipper und dem, für die Durchfahrt erforderlichen Lotsen noch vier „Linehandlers“ mitfahren. Wir hatten Glück, dass die Familiencrew der ARGO, die wir in Linton Bay kennengelernt hatten, sich dafür anbot. Lena und Steffen wollten mit ihren Kindern, Mascha, Ilya und Luise, selbst nicht in den Pazifik sondern nach einem Jahr Karibik, zurück in die Heimat. Für sie war dies also eine schöne Gelegenheit trotzdem die Kanalpassage zu erleben.

Zwar brauchten wir eigentlich nur drei weitere Crewmitglieder aber natürlich wollte sich keiner von ihnen diese Gelegenheit entgehen lassen und so kam es, dass wir am Ende mit acht Leuten auf DAPHNE saßen.

Der erste Teil der Passage besteht aus drei hintereinanderliegenden Schleusenkammern die vom Atlantik-Level auf Höhe des Gatúnsees führen. Zunächst fuhren wir DAPHNE nachmittags aus der Marina in die Ankerzone vor den Schleusen um unseren Lotsen aufzunehmen. David hatte nach seiner theoretischen Lotsenausbildung das Patent erhalten um kleinere Yachten durch den Kanal zu führen. Nach diesen Erfahrungen würde er dann auf die großen Schiffe umsteigen. Er beantwortete geduldig alle unsere Fragen zum Kanal und erläuterte uns umfangreich das Prozedere des Schleusens. Ganz offensichtlich hatte er Spaß an seinem Job.

Wir fuhren nach seinen Anweisungen in Richtung der beiden 1914 fertiggestellten Schleusenkammern. Sie fassen Schiffe bis maximal 294 Meter Länge. Die neuen Schleusen wurden 2014 in Betrieb genommen und können auch die „new panamax ships“ bis 366 Meter abfertigen. Bei Containerschiffen bedeutete dies immerhin eine Steigerung von 5.000 auf 13.000 TEU (twenty foot equivalent unit). Für die Reedereien rechnet sich dieser Ausbau trotz der immensen Gebühren von 800.000 $ pro Schleusung. Zuvor zahlten sie umgerechnet auf den einzelnen Container circa 15 Prozent mehr. Den größten Containerriesen (399 Meter) und Supertankern 458 Meter) steht die berühmteste Abkürzung der Welt nicht zur Verfügung.

Um die Schleusenkammern optimal zu nutzen, werden bei uns Yachten immer zwei bis drei zu einem Päckchen verbunden und zusammen mit einem der Großen durchgeschleust. Unser „main piece“ war die BELUGA REEFER, ein Stückgutfrachter der von Sankt Petersburg nach Equador unterwegs war. Da sie nur 158 Meter misst, passte sogar noch ein großer Luxus-Katamaran mit in unsere Kammer. Wie alle großen Schiffe wurde die BELUGA REEFER mit Treidel-Locks in die Schleuse bugsiert und fixiert, bei uns kleineren erfolgt dies mittels eigenem Antrieb sowie der 50-Meter-Leinen die von Helfern auf der Schleusenmauer geführt werden. Als alle gut befestigt waren schloss sich hinter uns das Tor und wir warfen einen letzten Blick auf den Atlantik.

Nach drei Schleusenstufen fuhren wir mit unserer Päckchen-Partnerin, der VANILLE zu einer nahegelegenen Mooringboje um dort die Nacht zu verbringen. Lotse David ging von Bord, nicht ohne uns zu daran zu erinnern, dass am nächsten Tag pünktlich um 7:30 Uhr sein Kollege an Bord kommen würde um uns durch den kommenden Abschnitt zu bringen. Für uns war nun auch Feierabend und wir genossen die idyllische Atmosphäre dieses besonderen Liegeplatzes. Der Gatúnsee war bei der Kanalfertigstellung mit 425 km² der weltweit größte künstlich See. Er liegt 26 Meter über dem Meeresspiegel und seine Wassermenge reicht aus, um die Schleusenkammern zu betreiben.

Antonia hatte alle Hände voll zu tun, ein leckeres Abendessen für uns auf die Beine zu stellen. Nach dem Essen gab es noch diverse Sundowner. So schön der Abend, so traurig der Morgen. Der Lotse kam eine Stunde früher als angekündigt, wir hatten noch Schlaf in den Augen. Gerade als er an Bord kommen wollte, dann der große Schreck: Unser Motor sprang nicht an. Wir versuchten den Lotsen zu vertrösten doch als auch nach einer halben Stunde sich nichts rührte, zog er unverrichteter Dinge wieder ab. Ich brauchte mit Steffen am Ende drei Stunden um die Maschine zu starten. Dieselvor- und -feinfilter wechseln, Wasserabscheider reinigen, die Leitungen durchblasen, zusätzlichen Diesel aus den Reservekanistern in den Tank schütten, das System entlüften. Als der Volvo dann endlich wieder tuckerte, war es für diesen Tag allerdings zu spät für den Lotsen. Unser Agent versuchte die Passage auf Mittags zu verlegen, doch das ist auf einer der meistbefahrenen Wasserstraßen der Welt nun mal nicht so einfach. Wir mussten wohl oder übel den ganzen Tag sowie die kommende Nacht auf dem Gatúnsee verbringen. Sicherlich gibt es schlimmere Plätze für eine Verlängerung, nur war unsere Daphne mit der aktuellen Crew schon ein wenig überbelegt. Ein Hauch von Lagerkoller lag in der Luft. Baden gehen war leider auch nicht möglich. Zum einem wegen der Sicherheitsbestimmungen des Kanals, zum anderen tummeln sich im Gatúnsee zahlreiche Krokodile.

Am ärgerlichsten aber war die Nachricht vom Agenten über die zusätzlichen Kosten: In unserer Bordkasse würden nach unserem kleinen Motorproblem satte 970,– $ fehlen. Dazu kam noch, dass wir zwar das Problem gefixt hatten, die eigentliche Ursache war immer noch unklar. Verdreckte Leitungen, verstopften Filter oder gar ernsthafte Probleme mit dem Motor? Vielleicht aber auch nur zu wenig Diesel? Unsere letzte Betankung hatten wir in Martinique, das lag über ein Jahr zurück. Ich wollte beim nächsten Tanken nicht mehr so viel Rest vom alten Diesel im Tank haben und war nun schon leicht in die Reserve gefahren. Vielleicht ja ein teurer Fehler. Beim nächsten Tankstopp in Panama City rechnete ich aus, dass zu dem Zeitpunkt noch ca. 30 Liter im Tank gewesen sein mussten. Eine größere Schiffsbewegung reichte dann eventuell schon aus, um Luft ins System gelangen zu lassen. Ich war jedenfalls ziemlich bedient und hatte den ganzen nächsten Tag noch permanent Angst, dass der Motor erneut den Dienst verweigert. Dies hätte dann sogar 5.000 $ gekostet, da in diesem Falle ein Schlepper zum Einsatz gekommen wäre. So gesehen hatten wir also 4.030 $ gespart, weil uns das „nur“ an der Mooringboje und nicht mitten im Kanal passiert ist. Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

Von den Kosten einmal abgesehen, war unser Verlängerungstag mit der ARGO-Crew auf dem Gatúnsee ein tolles Erlebnis (hier ihre Sicht der Geschehnisse). Nach dem Abendessen kam sogar noch die Gitarre zum Einsatz und ich versuchte mich an Stücken von denen ich eine gewisse Textsicherheit bei den anderen erwarte. Es wurde spät und laut, unsere Motorprobleme waren für eine Zeit vergessen.

Die Weiterfahrt am nächsten Tag verlief unkompliziert – so unspektakulär, dass unser neuer Lotse mehrfach bei der Arbeit einnickte. Und auch sonst war er mehr damit beschäftigt Boxkämpfe auf seinem Smartphone zu schauen als mir Navigationshilfen zu geben

Als es in den eigentlichen Kanal ging, war er aber wieder voll bei der Sache. Das, was allgemein hin als Panamakanal bezeichnet wird, ist auf dem ersten Drittel der circa 80 Kilometer eher eine künstlich aufgestaute Seenlandschaft. Erst danach hat man das Gefühl, tatsächlich durch einen Kanal zu fahren. Am Pazifikende warteten erneut drei Staustufen darauf, DAPHNE wieder auf Meereshöhe zu bringen. Diesmal aber nicht zusammen mit einer anderen Yacht sondern an der Seite eines großen Schleppers, an welchem wir bei jeder Stufe erneut an- und ablegen mussten.

Zusammen mit den starken Strömungen jeweils nach dem Öffnen der Tore war dies jedes Mal eine ziemliche Aktion. Als sich schließlich das letzte Doppeltor öffnete lag er endlich vor unserem Bug: Der Stille Ozean. Wir bräuchten jetzt also bis Australien einfach nur weiter geradeaus fahren. Ein ergreifendes Gefühl. Abgesehen von einem kurzen Abstecher nach San Francisco bei einem Familienurlaub vor vielen Jahren, war es unsere Pazifik-Premiere.

Fun Fact: Der Kanal verläuft so durch Panama, dass die Einfahrt auf der Pazifik-Seite östlich von der des Atlantiks liegt, obwohl die Lage der beiden Ozeane auf der Weltkarte bekanntermaßen anders herum ist.

Bei der ersen Haltemöglichkeit hinter dem Kanal holte unser Agent seine Leinen und Fender ab und kassierte die zusätzlichen Gebühren. Die ARGO-Crew entschied, die Gelegenheit ebenfalls zu nutzen um von Bord zu gehen. Ihr Taxi für die Rückfahrt wartete bereits. Ihnen war ein wenig mulmig, da sich ihre Rückfahrt nach Linton Bay wegen unseres Motorproblems von Freitag auf Samstag verschoben hatte und am Wochenende mal wieder ein totaler Lockdown galt. Die Fahrt verlief dann aber wohl reibungslos.

Antonia und ich fuhren noch eine Stunde weiter in die Ankerbucht vor Panama City und ließen gegen Sonnenuntergang unseren Anker vor grandioser Kulisse ins Wasser. Unsere portugiesischen Freunde von der DOMUM erwarteten uns bereits und luden uns für den nächsten Tag zum Lunch ein. Wir hatten uns seit ihrer Abfahrt aus Santa Marta, Ende Juli nicht mehr gesehen und so gab es von beiden Seiten viel zu erzählen. Besser kann ein Ankommen nicht ablaufen.

Epilog

Luis, unser Stegnachbar aus Shelter Bay wollte uns am nächsten Tag eigentlich folgen. Wir dachten daher, dass wir ihn wegen unserer Verzögerung im Kanal treffen würden. Doch auch bei ihm kam etwas dazwischen. Er war mit dem Lotsen und seinen Linehandlers schon auf dem Weg zur ersten Schleusenkammer als er kurz unter Deck ging um etwas für die Navigation zu überprüfen. Zuvor fragte er einen der Linehandler, ob er sich mit dem Rudergehen auskenne, was dieser bejahte. Luis stammt aus Galapagos und hatte seine ICARUS erst kurz zuvor in den USA gekauft. Nun wollte er sie nach Hause überführen. Er war nur ein paar Minuten unter Deck, als es plötzlich laut krachte und ein Ruck durch das Boot ging. Luis stürzte nach oben und stellte fest, dass der Platz am Ruder nicht besetzt war und die Yacht eine scharfe Drehung fuhr. Dabei stieß sie mit einem der diversen Wracks zusammen, die in der Shelter Bay ihr Ende gefunden hatten.

Wir konnten die Geschichte zunächst gar nicht glauben, so unwahrscheinlich schien es uns, dass solch ein Fehler passieren kann mit Skipper, vier Linehandler und Lotsen an Bord. Sie wurde uns aber einige Tage später von einer anderen genau so bestätigt. Die Crew der VOGHELSANC war eigentlich als Päckchenpartner für die ICARUS eingeplant und hatte den Vorfall aus kurzer Distanz beobachtet. Der Schaden war glücklicherweise übersichtlich aber der Kanaltermin war für Luis an diesen Abend natürlich gestorben. Er musste ebenso tief wie wir in die Bordkasse greifen und in die Marina zurückkehren. Erst über drei Wochen später konnte er seinen Weg fortsetzen. Ob er es rechtzeitig nach Hause schafft bevor wir Galapagos verlassen und wir ihn noch einmal wiedersehen ist offen – wie leider so oft bei Bekanntschaften mit anderen Yachties.

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