Versorgungsschiff, Haie, Independent Day und ein Todesfall
An manchen Orten verbrachten wir Tage und Wochen, ohne dass irgend etwas berichtenswertes geschah. Auf Makemo hatten wir in weniger als 24 Stunden eine tolle Party mit der ganzen Dorfgemeinschaft, die Begegnung mit Schwarzspitzen-Riffhaien, den bunten Trubel durch die Ankunft des Versorgungsschiffs, sowie einen tödlich Verunglückten an unserem Liegeplatz – doch der Reihe nach:
Wir erreichten Makemo , unsere erste Insel in den Tuamotus, 76 Stunden nach der Abfahrt von den Marquesas um 10 Uhr lokaler Zeit. Die 510 Seemeilen lange Überfahrt war etwas anstrengend jedoch unspektakulär. Allerdings sahen wir zum ersten Mal auf unserer Tour Orcas. Wir hatten zwar halben Wind, mit dem sich DAPHNE sonst immer sehr wohl fühlt, aber die Wellen kamen aus unterschiedlichen Richtungen und die Windgeschwindigkeit pendelte ständig zwischen 8-16 Knoten. Am zweiten Tag kamen noch diverse Regenfronten mit den üblichen Winddrehern hinzu. Nach einem Monat Marquesas waren wir soviel Schaukelei nicht mehr gewohnt und fieberten daher dem Landfall entgegen.
Leider brauchten wir etwas länger als prognostiziert und erreichten die Atoll- Einfahrt drei Stunden nach der Slack-Tide, der Phase mit der geringstmöglichen Strömung. Je nach Seegang und Windstärke erreichen die Tidenströme in den Tuamotus eine Stärke, die das Durchqueren der Eingänge unmöglich macht. Dann heißt es, stundenlang vor dem Ziel herumzutreiben, bis die Strömung wieder nachlässt. Keine tolle Aussicht. Wir hatten halbwegs Glück und mussten „nur“ gegen 5 Knoten ankämpfen. An der kritischsten Stelle hatten wir trotz Vollgas weniger als 2 Knoten Fahrt über Grund. Rings um uns herum brodelte das Wasser. Wir fühlten uns wie inmitten von Stromschnellen. Nach 15 Minuten war der Spuk vorbei und wir fuhren gemütlich zum eingezeichneten Ankerplatz.
Die von Makemo umschlossene Fläche ist circa 37 Seemeilen lang und misst an der schmalsten Stelle ungefähr 5 Seemeilen. Das entspricht circa so vielen Quadratkilometern wie Hamburg. Außer uns lag nur noch ein einziges weiteres Boot dort. Claire und Max waren mit ihrer POUSSE RAPIÈRE zwei Tage zuvor angekommen.
Wir freuten uns nach dem Gewackel zwar auf festen Boden unter den Füßen, doch waren wir viel zu geschafft, um nach dem Klar-Schiff-Machen auch noch das Dinghi zum Anlanden vorzubereiten. Das konnte auch bis zum nächsten Tag warten. So genossen wir zunächst einmal die ruhige Lage und ließen den Tag gemütlich verstreichen. Am nächsten Morgen ging es dann auf Erkundungstour, was ob der Größe des 800 Einwohner zählendes Städtchen schnell erledigt war.
Kaum am Dinghi Dock gelandet bekamen wir zwei wichtige Infos: Am Abend fand anlässlich des Unabhängigkeitstages ein großes Fest statt und die robuste Landungsbrücke der Gemeinde würde auch Yachten zur Verfügung stehen – sogar kostenlos. Für die beiden Folgetage waren über 30 Knoten Wind vorhergesagt und so verlegten wir uns ebenso wie die POUSSE RAPIÈRE vom Ankerplatz an den soliden Anleger. Vier achterliche Festmacher sollten reichen um dem Wind zu trotzen und unser Anker mit 30 Meter Kette hielt uns auf sicheren Abstand zum Dock. Nun konnten wir uns mit Claire und Max auf den Weg zur Feier machen.
Wir kamen gerade rechtzeitig zum Beginn des Programms, das im wesentlichen aus einem Wettbewerb zwischen den vier lokalen Stadtteilen bestand. Die Disziplinen waren Basketballwerfen, verschiedenste musikalische Darbietungen sowie eine Miss-Wahl unter den Schönsten der vier Mannschaften.
Für uns ein wenig unerwartet: Bei den „Schönheiten“ handelte es sich um „Rae-rae“ – polynesische Transsexuelle- die unter lauten Gejohle des Publikums in drei verschiedenen Outfits ihren Catwalk abhielten.
Eine strenge Jury benotete die glamourösen Auftritte. Die Stimmung war toll. Alle Menschen auf dem Atoll sind super freundlich und aufgeschlossen, so dass es am Abend auch einige interessante Gespräche gab. Beispielsweise mit Becko, dem Inselkünstler mit seinen kunstvollen Schmuck-Schnitzereien.
Alkoholische Getränke gab es keine – man hatte wohl entsprechend negative Erfahrungen gemacht – dafür waren leckere Spieße aus Rinderherz mit Fritten im Angebot. Nach den Siegerehrungen war die Party auch schon wieder vorüber. Wir waren deshalb früh am Abend zurück an Bord, was uns angesichts des Schlafmangels der letzten Tage nur recht war
Am nächsten Morgen dann ein riesiger Schreck. Ich erwachte von einem lauten Stimmengewirr und sah durch meine Luke, dass neben dem Nachbarboot mehrere Leute einen Mann an den Strand zogen. Als ich oben an Deck war, hatten sie schon mit Wiederbelebungsmaßnahmen begonnen. Leider erfolglos und auch der schnell eintreffende Rettungswagen konnte nichts mehr ändern. Der Mann war tot. Nach und nach erschienen immer mehr Dorfbewohner darunter auch verzweifelte Angehörige des Mannes. Dramatische Szenen spielten sich ab. Im Nachhinein erfuhren wir, dass Max, davon wach wurde, dass jemand an seinem Boot um Hilfe rief. Ein Inselbewohner mit Epilepsie hatte einen Anfall bekommen und war beim Angeln vom Steg gefallen. Obwohl Max kurz die Hand des Mannes fassen konnte, schaffte er es nicht, ihn über Wasser zu halten und als ihm die anderen Männer vom Dock zur Hilfe geeilt waren, hatte der Ertrinkende bereits das Bewusstsein verloren.
Das rote T-Shirt des Verstorbenen hängt noch immer am Ort des Geschehens und erinnert uns bei jedem Gang von Bord an den schrecklichen Vorfall.
Nach dem Frühstück hatten wir immer noch ein flaues Gefühl im Magen und beschlossen zur Ablenkung auf Schnorcheltour zu gehen. Der Vorteil in einem Atoll: Man braucht nur von Bord zu springen und ist mitten im Aquariumbecken. Kristallklares Wasser, Unmengen von bunten Fischen aller möglichen Arten und eine Unterwasserlandschaft, bei der man aus dem Staunen nicht mehr rauskommt. Einige Flossenschlägen später dann die ersten Haie. Nach den Nurse- und Lemonsharks in San Blas sowie den Galapagos- und Hammerhaien bei San Christobal, waren hier vor allem Schwarzspitzen-Riffhaie unterwegs. Sie glitten an uns vorbei mit der Gelassenheit von Tieren, die ihren Platz an der Spitze der Nahrungskette haben.
Wir waren zwar nicht mehr so aufgeregt wie bei den ersten Haibegegnungen, aber es ist natürlich immer eine besondere Situation, auf diese beeindruckenden Tieren zu treffen. Nach circa einer Stunde kehrten wir zu DAPHNE zurück. Gerade rechtzeitig um beim Schnorcheln nicht dem großen Frachter im Weg zu sein, der Richtung Dock steuerte. Ich blieb noch ein wenig im Wasser um unser Unterwasserschiff von Muscheln zu befreien – für die heimische Fischpopulation eine willkommene Einladung zum Lunch. Kaum waren wir wieder an Deck, legte der Frachter auch schon neben uns an.
So dicht, dass sein Schraubenwasser DAPHNE bedenklich zur Seite drückte. Gut, dass wir genügend Festmacher ausgebracht hatten. Sofort nach dem Anlegen begann eine hektische Betriebsamkeit und alle möglichen Güter wurden abgeladen: Autos, Ölfässer, kleine Container sowie alles mögliche Stückgut. Auf einer Palette befand sich ein kleiner Obst-und Gemüsestand, inklusive Waage. Zwei Lademeister kommandierten mit Funkgerät und lauten Rufen, das Dutzend Männer, die mit Kränen und Gabelstaplern, an Land sowie an Deck die Güter verluden. Inzwischen war auch das halbe Dorf auf dem Anleger versammelt. Alle hatten irgendetwas aufzuladen, abzuholen oder mitzugeben. Der größte Exportschlager des Eilands sind dabei getrocknete Kokosnüsse. Die Menschen standen in kleinen Gruppen zusammen, jeder redete mit jedem, es wurde viel gelacht. Das tragische Ereignis vom Morgen schien vergessen.
Der Papierkram für die Verladung wurde in einem kleinem Bürocontainer erledigt, den der Frachter einige Meter neben DAPHNE gestellt hatte. Ein Mann mit großem Aktenkoffer, dessen Schlüssel ganz wichtig um seinen Hals hing, war offensichtlich der Chef von dem Ganzen. Bei ihm konnte man auch die gewünschte Waren des Markstandes bezahlen. Wir kauften Äpfel, Gurken, Tomaten und einen Kohlkopf – mehr war ohnehin nicht im Angebot
Leider hatte ich vergessen, was Kohl auf Französisch heißt und so fragte ich, auf die Kiste mit den Kohlköpfen zeigend, die ältere Dame in der Schlange vor mir danach. Sie antwortete „chou – comme chouchou“ und schenkte mir ein zahnloses jedoch strahlendes Lächeln. Flirten ist schließlich keine Frage des Alters. Wir mussten beide herzlich lachen und ich konnte nun in dem mobilen Büro meine Bestellung aufgeben. Der Mann mit dem Koffer verlangte umgerechnet 23€ und schickte mich mit einem vollgekritzelten Zettel zum Lademeister. Dieser packte, ohne groß die Waage zu bemühen, alles wie bestellt in meinen Beutel und da der Pop-up-Markt unmittelbar neben uns lag, war der Einkauf kurz darauf an Bord verstaut.
Das bunte Treiben hielt noch bis Sonnenuntergang an, aber nachdem der Frachter abgelegt hatte, war das Dock wieder so verwaist wie bei unserer Ankunft. Als wäre nichts gewesen. Wir konnten es kaum glauben, aber seit wir mit DAPHNE hier angelegt hatten, waren gerade einmal 24 Stunden vergangen.